«Jung & Alt»-Kolumne
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche komponiert Zaugg neue Sprichwörter.

Samantha Zaugg
Samantha Zaugg
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Laut dem Sprichwort im Titel ist man nicht auf die Hilfe anderer angewiesen, wenn man eigene Kraft und Geschick einzusetzen weiss.

Laut dem Sprichwort im Titel ist man nicht auf die Hilfe anderer angewiesen, wenn man eigene Kraft und Geschick einzusetzen weiss.

Keystone

Lieber Ludwig

Jetzt aber erst mal Butter bei die Fische! Du kommst dir also in der «Woke»-Bewegung vor wie in der Kirche. Geht glaub vielen so. Ich frag mich aber schon, wo das herkommt. Dass viele das mit der Identitätspolitik so streng, so absolut sehen mit Kategorien wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe. Ich betrachte das weniger als Limitierung, sondern vielmehr als Angebot. Lieber die Katze auf dem Dach als den Spatz im Sack.

Denn wenn man anerkennt, dass es verschiedene Realitäten gibt, eröffnet das auch neue Sichtweisen. Wenn ich mir klar darüber bin, dass eine schwarze Frau die Welt anders erlebt als ich, dann habe ich eine Perspektive dazugewonnen. Horizonterweiterung. Und desto besser kann ich meine eigene Position und mein Verhalten reflektieren. Und ich glaub, Selbstreflexion ist grundsätzlich eine gute Sache. Du weisst schon, vor der eigenen Tür kehren.

Um nochmals auf den alten weissen Mann zu kommen: Ich glaub, dass dieses Anerkennen von neuen Perspektiven etwas ist, was diese Gruppe nicht kennt. Weil sie in einer Welt leben, die in vielerlei Hinsicht sehr auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist. Und dann ist es halt eine total neue Erfahrung, wenn von anderen Gruppen diskutiert wird, dass man vielleicht mal die eigene Position reflektieren muss. Hochmut schützt vor Torheit nicht.

Fragst du dich schon, wieso ich so mit Sprichwörtern rumschleudere? Ich will nach dem ganzen Identitäts- und Gender-Ding mal wieder über was schreiben, das uns beiden Spass macht. Über Sprache. Weniger Arbeit, mehr Vergnügen! In letzter Zeit hab ich über Sprichwörter nachgedacht. Und mir im Übrigen auch erlaubt, die ein bisschen neu zu interpretieren, wie du bestimmt schon bemerkt hast. Neue Pferde singen gut. Oder so.

Ich frag mich jedenfalls, ob es überhaupt noch Menschen gibt, die unironisch Sprichwörter verwenden? Oder ob es die überhaupt jemals gab? Eigentlich begegnen mir Sprichwörter nur in bemüht geistreichen Überschriften in Zeitungen oder in TV-Beiträgen. Ich hab nachgeschaut, wie Sprichwort definiert wird, im Duden natürlich. Und für einmal bin ich nicht ganz einverstanden. Normalerweise liebe ich ja den Duden. Man sagt ja auch, der Duden ist der beste Freund des Menschen. An dieser Stelle eine weitere Neuinterpretation eines Sprichworts. Keine besonders gute, muss ich zugeben. Aber die Definition ist auch nicht besonders gut.

Die lautet nämlich: «Ein Sprichwort ist ein kurzer, einprägsamer Satz, der eine praktische Lebensweisheit enthält.» Lebensweisheit find ich jetzt bisschen viel gesagt. Und besonders praktisch sind die halt meistens auch nicht. Nachts sind alle Katzen grau oder so was. Das hat mir noch nie was praktisch geholfen in meinem Leben. Dir etwa?

Samantha

Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.

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