In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche erklärt sie, wieso ihre Generation so speziell und einzigartig sein will.
Lieber Ludwig
Woher der Wunsch nach Singularität kommt, fragst du. Ganz sicher bin ich nicht, aber ich habe eine Theorie.
Der Grund, weshalb wir nach Singularität, ich übersetze hier mit Einzigartigkeit, streben, ist: Weil wir es können. Wir sind die Generation der Möglichkeiten, die Ersten, die sich den Spleen der Selbstverwirklichung erlauben können. Früher war das anders. Von den alten Leuten, die ich kenne, suchten sich die wenigsten den Beruf aus, der am meisten Erfüllung versprach. Man machte halt, was möglich war, oder das, was der Vater schon gemacht hat. Und die Frauen hatten meist gar keine Wahl.
Dafür gab es bei euch das Versprechen, dass es immer besser wird. Wirtschaftlicher Aufschwung war im Zukunftspaket inbegriffen, bis irgendwann meine Generation kam.
Viele von uns wurden in stabile Verhältnisse geboren, materieller Besitz ist normal, schliesslich wachsen wir damit auf. Bildung wird zugänglicher, nebst dem klassisch akademischen Weg können wir über Berufsmatur und Fachhochschule gute Ausbildungen erreichen. Und was machen wir damit?
Viele in meiner Generation sind obszön gut ausgebildet, aber wir wissen nicht so recht, etwas damit anzufangen. Wir wollen den Lebensstandard unserer Eltern, aber lieber ohne deren Verpflichtungen. Ich glaube, wir sind eine Art Scharniergeneration. Das Ende der Gemütlichkeit zeichnet sich ab, aber es geht uns noch zu gut, als dass wir uns um radikalen Umsturz bemühen. Also Flucht in die Singularität, Sauerteigbrot backen und Vintage-Möbel kaufen. Nützt alles nichts. Weil wir alle nach derselben Individualität streben, werden wir doch wieder zur homogenen Masse.
Anders scheint das bei den jüngeren, der Generation Z. Bei ihnen haben Themen wie Klimawandel eine andere Dringlichkeit. Sie tun sich zusammen und merken, dass sie so etwas erreichen. Vor allem die jungen Frauen: Die Auswertung der letzten Abstimmung zeigt: Diese Gruppe wird immer politischer. Auch in der Klimabewegung besetzen sie wichtige Positionen. Es scheint, als hätten sie ein neues kollektives Selbstbewusstsein entwickelt.
Das freut mich besonders, denn gerade bei Frauen hat Aufwertung durch Abgrenzung Tradition. Du bist nicht wie die anderen, sagen Männer, und meinen es als Kompliment. Dabei ist das Chabis. Jüngere Frauen scheinen das begriffen zu haben. Auf Social Media und auch bei Demos begegnet mir immer wieder ein Spruch: I’m like the other girls – Ich bin wie die anderen Mädchen. Weniger Individualisierung, mehr Kollektiv.
Ich glaube, dieses Modell hat Zukunft. Was meinst du?
Samantha