Phänomen
Irrational, zeitintensiv und so befriedigend – deshalb sind wir Fans

Fan sein ist ganz schön emotional und intensiv. Ausserdem kostet es erst noch Zeit und Geld. Aber was macht den Fan zum Fan und worum geht es ihm überhaupt?

Alexandra Fitz
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Kuhglockengebimmel. Hopp-Schwiiz-Rufe. Yeah-Gekreische. 27'500 Zuschauer – was im Tennis anscheinend Weltrekord ist – zeigten beim Davis-Cup-Finale am letzten Sonntag deutlich und vor allem laut, dass «Tennis in den letzten Jahren zur Volkssportart wurde». So formulierte es zumindest Bundesrat Ueli Maurer. Ein Twitter-User kommentierte die Stimmung mit: «When tennis audience goes hooligan».

Noch euphorischer dann der Empfang der Helden, der Göttlichen, der Titanen – wie sie in den Medien (auch in dieser Zeitung) betitelt wurden. Handyhimmel, Fahnenmeer, Applausschar. In Lausanne versammelten sich 10'000 Fans. Die Menge huldigte, jubelte und feierte. Ein Fan hielt gar sein kleines Hündchen in die Höhe und streckte es wie eine Siegerfaust gegen den Himmel. Das Handynetz brach kurzzeitig ob all der verschickten Fotos zusammen.

Fans sind fürwahr eine spezielle Gruppe mit sehr speziellem Freizeitverhalten. Das Phänomen ist allgegenwärtig, trotzdem sind Fans in der Soziologie bisher selten untersucht worden. Der deutsche Soziologe Jochen Roose, einer der bekanntesten Fanexperten, definiert Fans als «Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren.» Fans wollen Nähe und Verbundenheit. Es geht ihnen dabei auch um eine Aktivität und das Wissen, etwas Konkretes zu tun.

Alles für das Fanobjekt

Den durchschnittlichen Fan gibt es nicht – Fans stammen aus unterschiedlichen soziokulturellen Gruppen. Doch es gibt Abstufungen im Fantum. «Bei vielen Menschen spielt das Fansein keine grosse Rolle und zeigt sich nur in Situationen und konkreten Ereignissen», erklärt Roose. Komme beispielsweise die Lieblingsband in die Stadt und gebe ein Konzert, zeigten sie alle Eigenschaften eines Fans. «Ein intensiver Fan ist man, wenn man seine Lebensgestaltung nach dem Fanobjekt richtet.»

Der berühmte Popliterat Nick Hornby schreibt in seiner Autobiografie «Fever Pitch» (Ballfieber): «Ich verliebte mich in den Fussball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz oder die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.»

So erging es auch Michael. Seit 20 Jahren ist er Fan einer Schweizer Fussballmannschaft. Kein Spiel, kaum ein Auslandsreisli ohne ihn. «Die Kurve ist mein Zuhause, die Fans meine Familie», sagt Michael.

Beim Wort Fan hat die Gesellschaft meist das Bild eines Fussballbegeisterten vor Augen. Oft ist das Kopfkino negativ. Das hat bereits mit dem Begriff zu tun: Das englische «Fan» kommt von «fanatic» (Fanatiker). Die Gesellschaft findet Fans eher seltsam, gar suspekt. Extremer Anhänger von etwas zu sein, kann laut dem Experten Roose zum Problem werden, wenn die Fokussierung Überhand nimmt. Man leidet unter Kontrollverlust, ähnlich wie bei einer Sucht.

Die Symptome können dann für das Umfeld schwierig werden. Die Gesellschaft hat Erwartungen, wie Fans sich verhalten sollen. Es gibt soziale Regeln, die plötzlich nicht mehr so gelten. Schreien und schimpfen wird auf der Strasse nicht geduldet, an einem Rockkonzert und im Fussballstadion ist es aber erlaubt. «Es ist interessant, dass Normen, die sonst gelten, in einem gewissen Raum für eine gewisse Zeit herabgesetzt werden», erklärt Roose.

Fantum ist ein Gruppenphänomen und nicht typisch für eine Gesellschaftsschicht, es kommt übergreifend vor. Gar in der Hochkultur: Auch wenn sich die Wagnerianer, die jährlich an die Bayreuther Festspiele pilgern, nicht als Fans bezeichnen würden, haben sie alle Anzeichen eines Fans und weisen dessen typische Charakterzüge auf.

Warum ist man Fan und steckt so viel Leidenschaft und Zeit in eine Sache? «Es ist eine Erlebnisstrategie, die einer Zielverfolgung dient», erklärt Roose. Ein Ereignis, das konsumiert wird, werde für Fans durch das Vorbereiten, das Mitverfolgen und Miterleben zu einem intensiveren Erlebnis. Als neutraler Beobachter sei so ein Erlebnis langweilig. Wohl wahr: Ein Konzert macht Spass, wenn man die Lieder kennt und mitsingt. Ein Fussballspiel, bei dem man nicht für eine Mannschaft jubelt, bei dem die Bratwurst wichtiger ist als der Match, vermag nie an die Adrenalinwellen heranzukommen, die beim Singen, Rufen und Mitfiebern durch den Körper ziehen.

Bei Jimi Hendrix’ Vater

Das zweite grosse Fanobjekt neben dem Sport ist die Musik. Dies ist kein Zufall, denn sie bietet günstige Bedingungen, «befant» zu werden – Ort und Zeitpunkt in Form von Spiel und Konzert sind die Höhepunkte.

Ein Konzert seines Idols blieb Roland Zeller verwehrt – zu jung war er, als Jimi Hendrix im Alter von 27 Jahren an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. Trotzdem ist der 61-Jährige der wohl grösste Hendrix-Fan der Schweiz. In seinem Keller in Wädenswil ZH lagert etwa eine Tonne Fanmaterial. Darunter originalverpackte, ungeöffnete Schallplatten. Am wertvollsten sei eine Marmorplatte, in die ein Bildhauer das Abbild von Hendrix einritzte – natürlich mit 18 Karat vergoldet. «Meine Wände sind voll mit Bildern von ihm. Das ist praktisch, denn ich höre oft laut seine Musik, so wirken sie schallschluckend», sagt Zeller.

Als 13-Jähriger lief er über den Markt in Liestal BL und hörte das Lied «Hey Joe». Es war Liebe aufs erste Hören. Als er auch noch erfuhr, dass sie am gleichen Tag Geburtstag feiern, war er angefixt. Er gründete als Junge den Jimi Hendrix Fan Club, der heute noch als Jimi Hendrix Memorial Management mit 2000 Mitgliedern aktiv ist. Sein Fan-Highlight: ein Besuch bei Hendrix’ Vater. Zeller liess sich das Abwimmeln am Telefon nicht gefallen, flog nach Seattle und klingelte. Mittlerweile kennt er fast die ganze Verwandtschaft.

Zeller ist kein Gitarrengott, er beherrscht das Instrument noch nicht mal. Äusserlich haben sie nur die silbernen Türkisringe gleich. Doch kein anderer Musiker hat Zeller so überzeugt wie «Black Elvis». So sehr, dass er sich den Anfang eines Hendrix-Songs in seinen Grabstein gemeisselt wünscht.

Die jüngeren Generationen singen heute Justin-Bieber-Lieder. In der Fan-Forschung heisst es, es sei typisch mädchenhaft, ein Pop-Fan zu sein. Apropos, die richtigen Fans heissen gar nicht Fans, sondern «Belieber» (eine Mischung aus «Believer» (Glaubender) und seinem Nachnamen). Das sind die obsessiven, ja besessenen Fans. Sie gehören wahrscheinlich eher in die Gruppe «intensiv». Sie strecken bestimmt auch Hündchen in die Höhe und jubeln und kreischen. Aber das Souvenir für ihren Star ist wenigstens aus Stoff.