Früher kam auf den Tisch, was im eigenen Garten wuchs: Lauch, Zwiebeln und Kartoffeln. Die Walliser Frauen ergänzten das Gemüse mit Käse und bereiteten damit einen pikanten und sehr schmackhaften Kuchen zu.
Manch einer mag staunen, was er auf der Speisekarte in Walliser Restaurant liest: Cholera. Was hat eine akute Durchfallerkrankung, die ohne medizinische Behandlung tödlich verlaufen kann, in einem Restaurant zu suchen? Kann man das Gericht bedenkenlos essen? Und heisst die Beilage am Ende noch Pest? Nein, so spektakulär ist Cholera am Ende nicht.
In Rezepten und von Gastronomen wird Cholera als «gedeckten Gemüsekuchen» beschrieben. So weit, so klar. Aber was ist nun in der typischen Cholera drin? «Kartoffel, Äpfel und Käse», sagt meine Tante Emmeline. Sie ist vor 88 Jahren in Ritzingen im Goms geboren und zeitlebens mit dem Tal in Verbindung geblieben. Also wer, wenn nicht Tante Emmeline, kennt das Geheimnis hinter der Cholera?
Doch die Freude, das Rezept aus der Tante herausgekitzelt zu haben, macht sie mit ihrem nächsten Satz zunichte:
«Aber meine Familie mag die Cholera lieber so, wie sie die Grossmama zubereitet hat.»
Die Grossmama, Jahrgang 1910, auch sie aus dem Goms, aber aus Ernen.
So weit, so klar: zwei Dörfer, zwei Familien, zwei Rezepte. Doch wie mache ich jetzt die Cholera?
Und was ist bei der Cholera von Grossmama Wilhelmine Schmid-Schmid anders? Sie habe keine Kartoffel genommen, erklärt Tante Emmeline kurz und knapp.
Angesichts dieser alten Rezepte mutet es modern an, was ich für meine Cholera verwende. Denn: Aus meiner Sicht muss unbedingt Lauch mit hinein. Über diesen Vorschlag ist Tante Emmeline nicht sehr erstaunt. «Im Obergoms verwendet man Lauch für die Cholera», bestätigt sie.
Alle diese Rezepte lassen auf den Ursprung der Speise schliessen: Die Frauen verwenden für die Cholera das, was sie zu Hause im eigenen Garten hatten und haben.
Das sei notwendig gewesen, weil die Cholera zu dieser Zeit in den Dörfern gewütet habe und so der Handel und der Tausch von Lebensmitteln nicht möglich war. Damit sei auch der Name des Gerichts zu erklären, lautet eine Theorie.
Eine andere Erklärung führt die Cholera auf «Chole» oder «Cholu» zurück, den walliserdeutschen Ausdruck für Kohle. Die Pfanne mit dem Kuchen sei zum Backen in die Kohle gelegt worden, daher der Name. Gestützt wird diese Theorie durch den Umstand, dass die «Cholerä» im Wallis ein Begriff für den offenen Vorraum im Backhaus ist, wo die Kohlen in einer Grube vor der Ofentür gesammelt wurden.
Ich bin froh, kann ich meine Cholera im Backofen backen und muss dafür weder ins Backhaus noch eigens ein Feuer entfachen. Entgegen der Tradition ist meine Variante ein offener Kuchen, ausserdem ergänze ich die ursprünglichen Zutaten mit Speck und Muskatnuss – ein bisschen Curry oder Chili in der Lauchfüllung sorgen für zusätzliche Rasse. Interessant ist auch, die Lauchmasse mit wenig Wein oder Apfelbrand abzulöschen, die Flüssigkeit sollte aber möglichst vollständig verkocht sein.
Auch beim Käse lässt sich nach Belieben variieren. Anstatt Raclettekäse eignet sich jeder Bergkäse.
Übrigens, die Cholera ist nicht das bekannteste Rezept aus dem Wallis. Das Fondue und natürlich das Raclette überstrahlen selbstverständlich alles. Doch nicht jeder hat ein Caquelon oder einen Racletteofen zu Hause.
Die Cholera hingegen braucht kein besonderes Zubehör. Serviert man zur Vorspeise einen «Walliser Teller» mit Trockenfleisch, Hamma, Hüswurscht und Hobelkäse, ist das Walliser Menu schon fast komplett.
Zum Dessert passt eine Crème oder ein Kuchen mit Aprikosen oder ein Sii, gemacht aus Roggenbrot, Rosinen und Wein.