Popkultur-Glosse
Der schlimmste Film auf Netflix geht weiter: «365 Tage» – wenn Bad Boys uns das Hirn vernebeln

Filme müssen nicht immer tiefsinnig oder intelligent sein. Manchmal will man sich nur unterhalten lassen. «365 Tage» und dessen Fortsetzungen haben aber noch nicht mal mehr eine Handlung. Dafür das, was weibliche Zuschauer angeblich in den Bann zieht: Einen Bad Boy. Reicht das wirklich?

Nadja Zeindler
Nadja Zeindler
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Ungesünder geht fast nicht: Kommunikation ist zwischen Massimo und Laura aus «365 Tage» kein Thema. Dafür machen sie... andere Sachen.

Ungesünder geht fast nicht: Kommunikation ist zwischen Massimo und Laura aus «365 Tage» kein Thema. Dafür machen sie... andere Sachen.

Karolina Grabowsk

Netflix an, Gehirn aus. Das tun wir doch alle manchmal. Aber ich wage zu behaupten: «365 Tage» ist das schlimmste, was der Streamingdienst zu bieten hat. Die Buchverfilmung ist die Steigerung von «50 Shades of Grey», was wiederum die Steigerung – und eine Fan Fiction – von «Twilight» war.

Die Formel ist immer gleich: Ein Mann verliebt sich in eine Frau und stalkt sie, aber weil er reich oder hübsch oder beides ist, ist das romantisch. Nur sie versteht ihn und für sie ändert er sich (manchmal), denn sie ist anders als alle anderen Frauen. Und schwups: Ihr Hirn hat einen Kurzschluss, sie gibt ihr Leben auf und existiert nur noch in dieser Beziehung.

In «Twilight» gibt Teenager Bella ihr Leben nicht nur im übertragenen Sinne auf, sondern wird für Edward zum Vampir.

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Keystone

Viel Drama, wenig Handlung

In «365 Tage» wird diese ungesunde Beziehung noch etwas mehr glorifiziert. Hinzu kommen ganz viele Szenen mit sehr peinlichem Geschlechtsverkehr. Jetzt ist der dritte Teil erschienen und damit ist diese himmelschreiende Geschmacksverstauchung von einem Film auch noch eine ausgewachsene Filmreihe!

Eine Zusammenfassung der bisherigen dürftigen Handlung: Mafia-Boss Massimo verliebt sich auf den ersten Blick in Laura und entführt sie für ein Jahr, damit sie sich auch in ihn verlieben kann. Damit ist die Logik-Latte schon mal tief gesetzt. Nach nicht immer freiwilligem Körperkontakt passiert das sogar, dann gibt es die eben erwähnten Geschlechtsverkehr-Szenen, die teilweise keine 30 Sekunden nacheinander kommen und dann wollen sie heiraten, doch Laura wird am Schluss offenbar ermordet. Wow.

Im zweiten Teil wird dieser Cliffhanger aber einfach vergessen und wir starten mit der Hochzeit – und der ersten von noch mehr Szenen mit Geschlechtsverkehr. Diese sind nicht mehr nur zahlreich, sondern so lange, das ganze Songs dazu ausgespielt werden. Wie ein pornöses Musikvideo. Auch sonst gibt es sehr viele musikalische Zusammenschnitte, weil die Autoren offensichtlich Mühe haben, Dialoge zu schreiben.

Nach der Hochzeit wird es Laura langweilig. Also ist das Interesse gross, als der neue heisse Gärtner auftaucht. Und in dessen Arme flüchtet sie sich sofort, als sie sieht, wie Massimo sie mit seiner Ex betrügt. Doch der Gärtner entpuppt sich als Killer einer anderen Mafiafamilie. Ausserdem stellt sich heraus, dass Massimo sie nicht betrogen hat, sondern Laura seinen bösen Zwillingsbruder gesehen hat, von dem bisher noch nie die Rede war. Dieser böse Zwillingsbruder erschiesst am Schluss Laura und Massimo erschiesst ihn. Wow.

Nacho, der heisse Gärtner, der eigentlich auch in der Mafia ist, surft auch.

Nacho, der heisse Gärtner, der eigentlich auch in der Mafia ist, surft auch.

Karolina Grabowska

Die Fremdscham steigt, die Qualität sinkt – noch mehr

Damit wären wir beim dritten Teil, der den Cliffhanger erneut komplett zum Fenster rausschmeisst. Dafür gibt es noch mehr Montagen mit Musik. Es könnte auch ein hübscher Werbespot für Sizilien sein – wäre da nicht der zahlreiche Geschlechtsverkehr.

Storymässig passiert nicht viel: Laura ist wieder nicht gestorben und denkt immer noch an den heissen Gärtner, der eigentlich auch ein Mafioso ist. Er heisst übrigens Nacho. Darum ist Massimo eifersüchtig und sie haben Eheprobleme. Das bereden sie aber natürlich nicht wie normale Menschen, stattdessen gibt es eine extra lange «Eheprobleme-Montage».

Dann reist Laura mit ihrer Freundin nach Portugal, wo auch Nacho auftaucht. Warum auch immer. Doch dann passiert tatsächlich das Undenkbare: Sie reden miteinander! Konversation! Dialog! Nacho sagt ihr, er würde ewig auf sie warten. Wie romantisch. Und dann haben sie Geschlechtsverkehr. Daraufhin erfährt Laura, dass Massimo sie vielleicht umbringen will, also will sie mit ihm reden. Doch dann endet der Film völlig abrupt, denn dieser absolute Hirnfurz geht noch weiter!

Übrigens: Die Buchvorlage ist – wie «Twillight» und «50 Shades» – von einer Frau geschrieben worden, die die weibliche Fantasie angeblich versteht! Nichts gegen Fantasien, natürlich klingt es verlockend, sich um nichts kümmern zu müssen und quasi komplett umsorgt zu werden. Aber dafür macht man Ferien und verkauft nicht seine Freiheit.

Bad Boys oder Psychopathen?

In den Sozialen Medien und auf Youtube wird «365 Tage» vor allem ins Lächerliche gezogen. Aber der Film hat seine Fans, genau wie viele andere, deren männliche Hauptdarsteller auch wenig mit der Realität zu tun haben.

Offenbar vernebeln diese Bad Boys einem das Hirn. Sie sind gefährlich, spannend, missverstanden, tragisch, einsam, still, mysteriös und natürlich heiss. Zum Cliché gehört nicht nur eine Frisur wie James Dean, sondern auch eine schlechte Beziehung zum eigenen Vater. Und voilà: Fertig ist der Traum jeder Frau. Angeblich.

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Billy ist in «Stranger Things» rassistisch, er quält seine kleine Schwester und ist alles in allem einfach böse. Aber alle (auch erwachsenen) Frauen in der Stadt stehen auf ihn und am Ende stirbt er als tragischer Held.
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Chuck tauscht in «Gossip Girl» seine Freundin für ein Hotel. Trotzdem heiratet sie ihn am Ende.
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Jax (2.v.r.) aus «Sons of Anarchy» ist der Anführer einer Biker Gang und ein Verbrecher – aber er ist eben auch hübsch.
Auch im Weltall gibt's Bad Boys: Han Solo ist Schmuggler und erschiesst seine Gegner hinterrücks. Das stört Prinzessin Leia wenig.

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Aber warum? Vielleicht, weil auch Frauen manchmal Regeln brechen und unanständig sein wollen. Ausserdem sind Bad Boys in der Popkultur selten wirklich gefährlich. Sie haben immer noch etwas Gutes in sich, das macht sie aus.

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Massimo ist da anders. Er ist eher wie «Euphoria»-Bösewicht Nate oder «Batman»-Erzfeind Joker. Und ja, der wird auch manchmal als Bad Boy bezeichnet, obwohl er ein absoluter Psychopath ist. Sie sind eigentlich fast näher an der Realität, denn im echten Leben gibt es keine Bad Boys. Wer sich tatsächlich so verhält und Frauen so behandelt, ist kein Bad Boy, sondern ein Idiot.