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Michael von der Heide: «Ein Schwuler kriegt wohl eins auf den Sack»

Michael von der Heide über seine Heimat, Homosexualität, Bischof Huonder – und sein neues Album.

Stefan Künzli
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Sänger Michael von der Heide (43) ist auf den Konzert- und Theaterbühnen zu Hause. Mischa Christen /Keystone

Sänger Michael von der Heide (43) ist auf den Konzert- und Theaterbühnen zu Hause. Mischa Christen /Keystone

KEYSTONE

Ihr letztes Album liegt schon vier Jahre zurück. Wieso eine so lange Pause?

Für mich war es keine Pause. Ich stand in der Zwischenzeit in vier Stücken von Christoph Marthaler auf der Theaterbühne. Es ging Schlag auf Schlag. Spielte mit dem Stück «King Size» im Royal Opera House in London, in Moskau und Paris. Alles war organisiert, ausverkaufte Häuser, Standing Ovations. Das gefällt mir. Meine Sängerkarriere hatte gar keine Priorität. Und ich dachte sogar: Vielleicht mache ich gar kein Album mehr.

Sie sind jetzt Sänger und Schauspieler. Ein durchdachter Karriereschritt?

Überhaupt nicht. Das war reiner Zufall. Christoph Marthaler mochte meine Stimme und hatte mich schon 1995 angefragt. Es war naheliegend, weil er immer mit Musik arbeitet. Ich sang in seiner erfolgreichen Produktion «Lina Bögli’s Reise», war parallel im Studio für mein erstes Album. Meine Sänger-Karriere hatte aber Priorität, nicht das Theater.

Ist das jetzt anders?

«Bellevue»

Die Karriere von Michael von der Heide dauert fast 20 Jahre. Mit «Bellevue» veröffentlicht er bereits sein zehntes Album. Es zeigt ihn in all seinen musikalischen Facetten. Meist singt er Hochdeutsch, aber auch Französisch und Mundart. Er singt Chansons im Duett mit Sina, swingt, walzert, tanzt Polka und wagt sich mit seinem neuen Produzenten Maurizio Pozzi (Maury), dem Komponisten von DJ Antoines «Ma chérie», auch auf den Dancefloor. «Bellevue» ist ein abwechslungsreiches musikalisches Vergnügen. (sk)

Sind Sie heute mehr Sänger oder mehr Schauspieler?

Ich bezeichne mich nicht als Schauspieler, ich bin Darsteller. Wenn man mit gelernten Schauspielern zusammenarbeitet, merkt man den Unterschied schon.

Wurde Ihnen auch schon eine Filmrolle angeboten?

Ja, schon einige, aber bis jetzt hat es nicht gepasst. Der Regisseur Stefan Haupt sprach mit mir über die Hauptrolle im Film «Utopia Blues». Es hat mich gereizt, aber ich traute sie mir einfach nicht zu.

Aber Sie haben ja offensichtlich komödiantisches Talent?

Eben. Mir sind immer tragische Rollen angeboten worden. Dabei wären lustige Rollen viel geeigneter ... Frau Waldburger.

Sie meinen die einflussreiche Schweizer Film-Produzentin Ruth Waldburger? Gibt es etwas Konkretes?

Eben nicht. Jemand aus der Filmbranche sagte, dass mich Ruth Waldburger kontaktieren würde. Nur: Das war vor zehn Jahren (lacht) und ich warte immer noch. Nein ernsthaft: Ich könnte mir eine Filmrolle durchaus vorstellen. Es könnte ja auch eine kleine Rolle sein. Mein Filmdebüt kommt bestimmt.

Was war in letzter Zeit Ihre Haupteinnahmequelle?

Schon die Hochkultur. Das freut den Sänger aus der Unterhaltungsbranche, wenn er im Odeon in Paris, im Royal Opera House in London oder im Opernhaus von Avignon auftreten darf. In jenen heiligen Hallen, in denen schon Maria Callas, Cecilia Bartoli und Anna Netrebko aufgetreten sind. Ich hätte es mir nie erträumt, dass ich hier Wagner oder Satie singen würde.

Sie singen klassisch?

Nein, nein. So, wie ich es kann. Für Klassikohren tönt das wohl ziemlich trashig. Schumann-Lieder singe ich eher wie Chansons. Ich habe grossen Respekt vor dem Gesang der Hochkultur, habe umgekehrt keine Komplexe als Unterhaltungssänger. Ich kann besser grooven.

Haben Sie sich ernsthaft überlegt, gar kein Album mehr zu machen?

Das darf man sich schon fragen. Mit einem Album verdient man ja heute gar nichts mehr. Sicher ist, dass ich mich immer mit Musik beschäftigen werde.

Das Lied «Hinderem Berg» auf dem Album ist ein Lied für Ihren Heimatort Amden. Wie ist die Beziehung heute?

Hm ... Naja. Amden ist wunderschön gelegen und hin und wieder besuche ich meine Eltern. Es gibt schon ein paar Hinterwäldler, aber nicht alle sind so.

Als homosexueller Jugendlicher ist das wohl nicht ganz einfach gewesen?

Amden ist ein raues Pflaster. Das sieht man heute noch in der Diskussion um Asylanten. Insofern glaube ich nicht, dass sich viel verändert hat. Ein schwuler Jugendlicher wird wohl heute wie damals eins auf den Sack kriegen. Bei mir war allen immer klar, dass ich schwul war. Erschwerend kam hinzu, dass wir eine der wenigen reformierten Familien in Amden waren. Und mein Vater war erst noch ein Deutscher. Die von der Heides waren anders.

War es Ihnen immer klar, dass Sie schwul sind?

Irgendwie schon. Aber mehr durch die anderen. Ja, ich war gern zusammen mit den Mädchen, habe Blümchen gesammelt, Lieder gesungen und die schönen Sachen geliebt. Fussball war nicht meine Sache. Ich habe all den Klischees entsprochen. Dann kamen die Sprüche der Grossen: «Du schwule Sau.» Dabei wusste ich damals nicht mal, was schwul ist. Dr. Sommer im «Bravo» hat mich aufgeklärt. Es hiess auch, dass das auch nur eine Phase sein kann, die vorbeigeht. Das hoffte ich auch, merkte dann aber, dass es bei mir mehr ist als eine Phase.

Waren Sie das Opfer?

Nein, ich war nicht das ewige Opfer. Sogar Amden gewöhnte sich an mich. Man kannte mich. Es ist nicht so, dass ich täglich abgeschlagen wurde. Ich konnte mich schon wehren, war wach, schlug auch mal zurück, hatte ein schnelles Mundwerk und einen grossen Bruder, der mich, wenn nötig, beschützte. Trotzdem: Als ich bekannt wurde, wurde ich über das Schweizer Fernsehen zu einer Schulhauseinweihung in Amden eingeladen. Da wurde ich mit den Worten empfangen: «Die Schande vom Dorf ist wieder da.» (lacht)

Was sagen Sie zu den umstrittenen Aussagen von Bischof Huonder gegen die Homosexualität?

Wir Schwule und Lesben haben grossen Zuspruch erhalten. Polo Hofer sagte: Wenn er schwul wäre, würde er den Bischof verklagen. Das war mir zwar sympathisch, würde aber nur unnötig Staub aufwirbeln. Leider gibt es aber auch viele Leute, die auch dieser Ansicht sind. (Pause) Wenn ich den Bischof am Fernsehen sehe, wird mir ganz anders. Falls es Gott gibt, wüsste er, was ihm blüht. Ich glaube nicht, dass ein Mensch, der so was sagt, ein Mensch ist, der an Gott glaubt. Es gibt ja auch die These, die besagt, dass jemand, der einen solchen Hass auf Schwule entwickelt, selbst schwul ist und sich wegen seiner Neigung selbst hasst.

Sie waren der Shooting-Star bis 2001, dann stagnierte Ihre Karriere. Wieso?

Es lief alles prächtig. Doch dann wurden wir übermütig. Mein Management wollte mich nur noch für die grossen Hallen buchen. Das heisst: weniger, dafür grosse Konzerte. Der Gedanke, im Jahr nur noch 15 Mal live aufzutreten und sonst zu Hause rumzusitzen, quälte mich. Ich fühlte, dass das nicht mein Weg sein konnte. Es war mir zu gross und unheimlich.

Und dann?

Es folgte das Projekt mit Songs von Hildegard Knef. Mit Adrian Stern an der Gitarre. Eine Herzensangelegenheit von mir, das war mein Ding. Kleinkunst, mit akustischen Instrumenten. Das entsprach mir und meinen Fähigkeiten. Live ein Erfolg, doch das Album kam nicht mal in die Hitparade. Es kam zur Trennung von meinem Management.

Wann kam das Frankreich-Abenteuer?

Das war auch zu jener Zeit. Also vor Hildegard. Ich lebte ein Jahr lang in Paris und Sony France wollte mich gross lancieren. Wir zogen von Studio zu Studio und suchten nach geeignetem Song-Material. Der Verantwortliche bei Sony France suchte in eine Richtung, die mir nicht entsprach. Es sollte künstlerisch anspruchsvoll, introvertiert und etwas abgehoben sein. Sie suchten eine Alternative zum Mainstream von Jean-Jacques Goldmann und Etienne Daho. Dabei hätte ich genau das geliebt. Das hätte mir entsprochen. Doch davon wollte er nichts wissen. Deshalb haben wir die Übung abgebrochen.

Treten Sie heute in Frankreich auf?

Ja, aber im Theater. Ich habe noch sehr gute Kontakte und habe sie alle eingeladen. Berühmtheiten wie Jane Birkin oder Isabelle Huppert. Das, was ich damals nicht erreicht hatte, habe ich jetzt via das Theater doch noch geschafft.

Wie ist Ihre Karriere in Deutschland verlaufen?

Dann und wann bin ich in Deutschland. Zu den Schwestern Inga und Anette Humpe habe ich beste Beziehungen. Aber den grossen Durchbruch habe ich dort noch nicht geschafft. Ein Journalist meinte kürzlich, es sei schade, dass ich nur mit Marthaler in Deutschland sei. Das neue Album erscheint auch in Deutschland und es gibt ein paar Anfragen. Wenn es ein Erfolg wird, ist das super, und sonst ist es auch nicht schlimm.

Beim Euro Song Contest 2010 in Oslo wurden Sie Letzter. Bereuen Sie es heute, teilgenommen zu haben?

Im Gegenteil. Es hat mich stark gemacht. Wenn man so etwas erlebt hat, kann einen gar nichts mehr erschüttern. Es war schon ein «Tolgge im Reinheft», aber irgendwie musste es einfach sein. Ich habe aber auch profitiert. Die zwei einzigen Punkte kamen übrigens von Georgien, und ich habe darauf am Festival Francofolies Konzerte in Rumänien und der Ukraine gegeben.