Musik
Ein Wunderkind wird zu einer Virtuosin wie einst Jimi Hendrix

Die im Aargau wohnhafte Yang Jing verbindet mit ihren Instrumenten chinesische Tradition mit Jazz und hiesiger Folklore. Bereits als sechsjährige entdeckte sie die Musik für sich, seit zehn Jahren wohnt sie nun schon in der Schweiz.

Rosmarie Mehlin
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Sonntag: Konzert von Yang Jing im Kultur- & Kongresshaus Aarau.Peter Fuchs

Sonntag: Konzert von Yang Jing im Kultur- & Kongresshaus Aarau.Peter Fuchs

Wäre da nicht der Schreibtisch mit dem Computer, wähnte man sich in in Yang Jings Studio in einem kleinen Museum für alte chinesische Musikinstrumente. Nebst ihren beiden Pipas (lautenähnliche Zupfinstrumente), einer Erhu (Streichinstrument mit zwei Saiten) und einer Guzheng (Zither mit 21 Saiten) ist Yang besonders stolz auf ihre siebensaitige Guqin-Zither: «Diese Instrumente gehören gemäss Unesco seit 2003 zu den Meisterwerken des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.»

Seit bald drei Jahren wohnt die Chinesin mit ihrem Lebenspartner, einem Schweizer Architekten, hoch über Aarburg an einem Waldrand. Im Garten des älteren Hauses sagen sich Fuchs und Reh regelmässig gute Nacht, «manchmal auch ein Hase», hält Yang strahlend fest und schwärmt auch von der Alpenkette – «mit Eiger, Mönch und Jungfrau» –, die bei Föhn von hier aus zu sehen ist.

Reihe: Entlang der neuen Seidenstrasse

Tea-Time-Konzerte im Kultur- und Kongresshaus Aarau jeweils 16.30 Uhr.
So., 20.10.: «Metall, Holz, Wasser, Feuer, Erde» mit Gerry Hemingway (Percussion) und Yang Jing (chinesische Instrumente).
So., 1.12.: «Laute im Garten» mit Christy Doran (E-Gitarre) und Yang Jing (Pipa).
Sa., 25.1.: «Zwischen-Ländli» mit Christine Lauterburg und Yang Jing.
So., 23.2: «Drache und Ameise» mit Erica Hänssler (Texte) und Yang Jing (Pipa, Erhu, Guzeng, Guqin).
Sa., 26.4.: «Entlang der Seidenstrasse», alte und neue Musik auf der Pipa und der Guqin mit Yang Jing Yang.
So., 11.5.: Überraschungskonzert mit speziellen Gastmusikern.
www.asiamusic.ch

Wunderkind und Kulturrevolution

1963 geboren und mit zwei Brüdern ist Yang im Herzen Chinas, am Gelben Fluss, aufgewachsen, in einem Gebiet, aus dem Konfuzius stammte. Ihr Vorname Jing bedeute «ruhig» – nur leicht anders betont, bedeute dasselbe Wort «Aussicht» oder «Hauptstadt» und ist so in Beijing (Peking) enthalten.

An die Finger ihrer rechten Hand sind mit Leukoplast künstliche Nägel geklebt. Sanft streicht Yang einmal über die Guzheng, greift dann zu einer der Pipas aus Mahagoniholz und gibt eine musikalische Kostprobe: Perlen gleich rieseln die Töne, sanft und intensiv zugleich – ein beglückender Ohrenschmaus. Zu recht wurde Yang dank ihres virtuosen und eigenwilligen Spiels in Anlehnung an den legendären Gitarristen auch schon als «Jimi Hendrix auf der Pipa» bezeichnet.

Bei einem Nachbarn, der viele Instrumente besass, hatte sie als Sechsjährige die Pipa für sich entdeckt und intensiv zu üben begonnen. Mit zwölf war sie an einer der beiden Opern ihrer Heimatprovinz als Musikschülerin aufgenommen worden. «Das war noch während der Kulturrevolution und ich wurde bei ganz armen Bauern untergebracht, wo es im Winter so kalt war, dass ich ein Loch ins Eis schlagen musste, wenn ich mir die Haare waschen wollte.» Nach einem Jahr spielte Yang bereits im Orchester der Oper mit.

Begeistert und lebhaft, in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch, berichtet die bedeutend jünger als 50 aussehende Yang über die schlagartigen Veränderungen nach Maos Tod im September 1976. Und, dass sie die grosse Chance hatte, mit 18 in Schanghai an die Uni aufgenommen zu werden, wo sie vier Jahre lang Komposition und traditionelle chinesische Musik studierte.

Nach ihrem Abschluss war sie als Pipa-Solistin ins chinesische Nationalorchester aufgenommen worden, dem sie zwölf Jahre treu blieb. Daneben führten Konzerttourneen sie auch zusammen mit verschiedenen international bedeutenden Orchestern unter anderem nach New York, Wien und London. Besonders leuchten ihre braunen, ausdrucksvollen Augen, als sie von einer Tournee mit zwei inzwischen verstorbenen Jazz- Legenden, dem Saxofonisten Arnie Lawrence und dem Schlagzeuger Max Roach, erzählt.

Begegnung mit Pierre Favre

Ein Schweizer Schlagzeuger seinerseits hat wesentlich dazu beigetragen, dass Yang von unserem Land fasziniert ist: «Ich hatte Pierre Favre in Peking kennen gelernt, als er mit Irene Schweizer ein Konzert gab. Ich habe später ein Stück für Perkussion und Pipa komponiert, mit dem Favre und ich durch die Schweiz tourten. Zum ersten Mal bin ich da auch in ganz kleinen Ortschaften aufgetreten. Es hat mich begeistert.»

Auf Anhieb habe sie unsere Kultur und Mentalität als sehr attraktiv empfunden. Andererseits kommt sie über die rasanten Veränderungen in ihrem Heimatland, das sie mehrmals jährlich besucht, aus dem Staunen nicht heraus: «Innerhalb von zwei Monaten findet man, wo früher alte Häuser standen, plötzlich einen Park mit grossen Bäumen. Innert weniger Wochen werden neue Häuser und breite Strassen aus dem Boden gestampft.»

Inzwischen ist sie seit zehn Jahren hier, acht davon hat sie in Luzern gelebt: «Primär hatte es mich wegen des KKL dorthin gezogen. Kaum angekommen, hat mich aber die Landschaft in ihren Bann gezogen. Ich spürte, dass ich aus der Kraft, die von See und Bergen ausgeht, enorme Kreativität schöpfen kann.» Das tue sie jetzt auch in Aarburg. Sie, die immer in Grossstädten gelebt hat, habe sich nicht vorstellen können, einmal so ruhig und abgelegen in der Natur heimisch zu sein: «Ich entspanne mich hier bei Gartenarbeit, und wenn ich in meinem Studio arbeite und aus dem Fenster blicke, inspiriert mich das sehr. So habe ich Stücke mit Titeln wie ‹Birnenblüte› und ‹Shadow of Roses› komponiert.»

Lust auf andere Musikrichtungen

Eine Herzensangelegenheit von Yang, die an der Musikhochschule Luzern und der Hochschule der Künste in Zürich unterrichtet, ist die Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Musikrichtungen. Im Kultur- und Kongresshaus Aarau sind ab Sonntag unter dem Titel «Entlang der neuen Seidenstrasse» Resultate in einer Reihe von Konzerten zu hören (siehe unten). «Ich habe Aarau gewählt, weil ich im Kanton Aargau zuhause bin und ich den Menschen hier ein Stück Kultur vermitteln will. Keine grosse Show, sondern intellektuelle Unterhaltung und die Gelegenheit zu Begegnungen ausserhalb von Hektik und Lärm.»