Literatur
Erster Lyrikband von Simone Lappert: Scheitern in allen Facetten – schön zu lesen ist das allemal

Simone Lappert hat nach zwei Romanen einen Gedichtband geschrieben. Selten las sich leichter von Fehlschlägen und vom Missglücken.

Bernadette Conrad
Drucken
Simone Lappert sorgt mit ihrem neuen Gedichtband für eine «längst fällige Verwilderung».

Simone Lappert sorgt mit ihrem neuen Gedichtband für eine «längst fällige Verwilderung».

Ennio Leanza / Keystone

Es ist ein sich Hineinbegeben in einen Wortwald. Geheimnisvolle Landschaften tun sich nach Eintritt in Simone Lapperts schön gestaltetes Gedichtbändchen auf; Landschaften, in denen Mensch und Natur miteinander verwachsen: «als ob die ellbogen einwärts knicken/ und durch die rippen nach innen wachsen,/ als ob auch die hände einwärts ästeln,/ als ob da ein wald unter der zunge,/ ein blättriger störton im hals,/ und dann das krachen der äste hinter den augen,/ die zunehmende vermoosung der gedanken, …»

Simone Lappert - längst fällige verwilderung

Simone Lappert - längst fällige verwilderung

Zvg

«Schlaflos» heisst dieser Text, er führt mitten hinein in jenes innere Land voller Untiefen und Rätsel, aus dem Simone Lapperts «Gedichte und Gespinste» stammen.

Sie präsentieren, jedes für sich, eine kleine Wortwelt mit eigenen Regeln. Zugleich lässt sich das Büchlein im Zeichen der «längst fälligen verwilderung» auch als Zusammenhang lesen. Eine Frage nämlich führt in leisen Varianten wie ein Wegweiser hindurch:

«entschuldigung, wo kann ich hier ungestört scheitern?»

Einige Seiten später dann: «entschuldigung, wo kann ich hier unbemerkt scheitern?» Noch einige Male begegnet man der Frage und dem immer etwas anderen Scheitern. Gegen Schluss ist es ein «unverschämt scheitern», bevor auf Seite 67 mit «entschuldigung, wo kann ich hier unversehrt scheitern?» der Gedichtparcours zu seinem Ende findet.

Besonderer Pathos erinnert an Ingeborg Bachmann

Was aber ist dies Scheitern, worauf verweist das Schlüsselwort, das Lappert als roten Faden durch den ganzen Band legt?

Thematisch gehen die Gedichte in viele Bereiche hinein, es geht um Erinnerung und Kindheit, um das Erfassen besonderer Momente, um Vergänglichkeit. Verinnerlichung und Verdichtung steht in diesen Gedichten nicht so sehr im Zeichen von Rückzug, sondern im Gegenteil eher im Zeichen eines klugen sich Rüstens und Wappnens, das das lyrische Ich von den Tieren lernt: «es muss nicht immer/ um den angriff gehen,/ sagt das krokodil,/ mir reicht es/ zu lauern.»

Ein fast schon haptisches Selbstporträt

Wie Lappert sprachlich die Natur dem lyrischen Ich anverwandelt und einverleibt, erinnert an die lyrische Tradition einer Ingeborg Bachmann, wo Verknappung und Präzision auch in keinerlei Gegensatz zum immer existenziell alarmierten Grundton, zu einem ganz besonderen Pathos, standen. Auf Bachmanns «Gestundete Zeit»: «Es kommen härtere Tage./ Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont …», könnte Lapperts «widerspruch» reagieren: «…/ trauere nicht, sagen die möwen,/ es warten noch weichere tage./ die flauschigen! sie wissen nicht,/ dass mit der zeit nicht nur brote/ nach innen verhärten.»

«Unversehrt scheitern» steht als wunderschöne Schlussformel auf der letzten Seite des Bändchens, gegenüber einem «selbstportrait (w)» auf der anderen Seite, in dem das lyrische Ich sodann «ein knirschen in den wimpern» feststellt, «ein krachen in den nackenhaaren … in den knochen ein knurren,/ … ein bersten und buckeln und beissen,/ … eine längst fällige verwilderung». Könnte das Scheitern, – ob ungestört, unbemerkt, ungebremst, unnahbar, unverschämt, unversehrt – nicht letztlich einfach mit Freiheit zu tun haben?

Simone Lappert: längst fällige verwilderung. gedichte und gespinste. Diogenes 2022. 70 Seiten.