Der schwedische Krimi-Doyen Håkan Nesser unterhält mit einem verzwickten Fall. Und Corona spielt als Hintergrund mit.
Dass Håkan Nessers neuer Roman grosse Qualität hat, merkt man rasch. Aber bald auch kommt einem der etwas bange Gedanke: Das Buch ist als Ganzes nur gelungen, wenn auch die Auflösung entsprechend gut ist. In gar manchem verzwickten Krimi ist diese am Ende dann banal oder nicht plausibel.
Und dieser Fall ist wirklich verzwickt: Ein erfolgreicher Autor wird an einer Lesung mit dem Vorwurf konfrontiert, einen Mord begangen zu haben. Statt sich an die Polizei zu wenden, nimmt er das Ganze als Stoff für eine Erzählung, die er ohnehin dringend abliefern muss. Dann verschwindet er, just nachdem er den ersten Teil der Erzählung seinem Verleger gemailt hat.
Kurze Zeit später wird eine bekannte Lyrikerin vermisst. Auch sie war bedroht worden, was sie ebenfalls in einem Manuskript festgehalten hat. Sind die beiden entführt worden? Oder freiwillig abgetaucht? Leben sie noch? Verbindet die beiden überhaupt etwas?
Mit diesen Fragen befasst sich Kommissar Barbarotti. Und dies in einer Zeit, wo Schweden nicht nur von Organisierter Kriminalität erschüttert wird, sondern wie der Rest der Welt von einer Pandemie. Die Haupthandlung spielt im Frühjahr 2020, Corona ist noch neu und umso erschütternder. Håkan Nesser gehört zu den wenigen Autoren, die dies bisher in ihre Handlung eingebaut haben – nicht im Zentrum, aber als allgegenwärtiger Hintergrund.
Der wörtlich übersetzte deutsche Romantitel «Schach unter dem Vulkan» bezieht sich auf die Frage, die sich auch Barbarotti stellen muss: Ist angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Bedrohung ein Rätsel um zwei verschwundene Literaten überhaupt relevant?
Allerdings sind es Monate später plötzlich drei: Ein Schriftsteller, auch als Literaturkritiker berüchtigt, ist seinerseits wie vom Erdboden verschluckt. Auch er war vorgängig bedroht worden. Macht der dritte Fall die Sache nun einfacher oder noch komplizierter für Barbarotti?
Barbarotti, den man aus früheren Nesser-Krimis kennt, ist seinerseits eine spezielle Figur. Als Fahnder brilliert er eher durch Fleiss als durch Genialität, private Sorgen hat er genretypisch zwar auch, aber sie scheinen ihn nur unwesentlich zu irritieren. Dafür spricht er gelegentlich mit Gott. Und erhält sogar einige Antworten.
In diesem Fall muss er sie selber finden. Hilfe kommt von Berufskollegen, allen voran von seiner gleichzeitigen Lebensgefährtin Eva Backman. Am Ende findet er die Lösung, wenngleich ein Zufall mitspielt. Und diese Lösung ist dann tatsächlich auf Flughöhe des ganzen Romans.
Håkan Nesser bietet Spannung, aber auch literarische Qualität. Nicht, weil er Literatur und ihren Betrieb thematisiert – mit Seitenhieben übrigens. Sondern weil er dicht, scharfsinnig und psychologisch tiefgründig schreibt. Zugleich ist der Text leichtfüssig, hat lakonischen Humor und vielleicht sogar den einen oder anderen Gag zu viel.
Vor allem fehlt eine Schwäche einiger früherer Barbarotti-Fälle: Dort musste man über Dutzende von Seiten mitlesen, wie Barbarotti das nachermittelt, was man in einer ausführlichen Vorgeschichte bereits erzählt bekommen hat.
Diesmal funktioniert der stete Wechsel zwischen Polizeiarbeit und Vorgeschichten ausgezeichnet. Damit ist dieser Krimi tatsächlich von Anfang bis Ende überzeugend.
Håkan Nesser - Schach unter dem Vulkan. btb, 426 Seiten