«Jung & Alt»-Kolumne
So etwas wie Sinn kann man nicht kochen

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso das Menü an Weihnachten egal ist.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
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Das Weihnachtsfest feiert eine mythologische Geschichte, die vom Geheimnis der Menschwerdung erzählt.

Das Weihnachtsfest feiert eine mythologische Geschichte, die vom Geheimnis der Menschwerdung erzählt.

Bild: Keystone

Liebe Samantha

Was mich an Weihnachten zuallerletzt interessiert, ist das Essen. Das Getue ums Festmenü kommt mir vor wie die Glitzerkonkurrenz vor den Häusern: Je knapper der weihnächtliche Sinn, desto pompöser die Installation. So etwas wie Sinn kann man nicht kochen. Kaufen auch nicht.

Für mich war dieser Sinn ein Kindheitstraum. Weihnachten verzauberte unsere kleine Welt, richtig, nicht bloss sozusagen. An den Geschenken lag es nicht, das Üppigste war ein Laubsäge-Set. Zu essen gab es Schinkli zu Kartoffelsalat. Der Zauber wirkte aus der Geschichte, die überall spielte: in Krippe, Stern, Christbaum, Mitternachtsmesse. Es war, als läge Musik in der Luft und verwandelte die Menschen. Der Zauber war befristet. Ich weiss noch, wie traurig ich war, wenn ich am 6. Januar von der Schule nach Hause kam – und der Baum am Fenster abgeräumt war.

Ginge es nur ums Zusammensein und Schenken, bräuchte es keine Weihnachten. Speziell ist, dass wir mehr feiern als uns selbst. Dass das Fest mehr ist als unser Arrangement – eine mythologische Geschichte, die vom Geheimnis der Menschwerdung erzählt, als kosmisches Ereignis. Darum stehen beim Kind auch Kuh und Esel, es singen oben die Engel, Hirten hüten ihre Schafe, Könige kommen zu Besuch. Sodass diese Geburt Himmel und Erde verbindet, Mensch und Tier, Natur und Kultur. Macht das Appetit auf Erlösung? Vom Ich? Wenn auch nur subkutan? Wir geben uns ja seit der Aufklärung gern nüchtern, wir glauben lieber an uns als an «höhere» Mächte.

Damit entzaubern wir die Welt halt auch – und vereinsamen kosmisch. Was wir zu spüren bekommen, sobald etwas aus dem Ruder läuft, siehe Corona, Klima, private Debakel. Dann helfen die schlausten Argumente nicht weiter, da geht es um Sinn, also nicht darum, wie wir über die Runde kommen, sondern warum, überhaupt und wozu? Davon erzählen Geschichten wie die weihnächtliche, die uns berichtet, wie Wunder ganz normal werden, wenn wir uns nicht separieren, sondern als Go-between zwischen Himmel und Erde unterwegs sind, zwischen Eseln und Engeln.

Du sagst, dein Blick auf Weihnachten sei «pathologisch». Was sieht er denn? Lauter faulen Zauber überall, wo es nicht sauber profan und rational zu- und hergeht? Den gibt es, nicht zu knapp. Nur bin ich nicht so fürs Pathologische. Lieber fürs Schöpferische. Der Mensch, glaube ich, lebt nicht von Logik und Moral, er braucht Geschichten, in denen er sich erkennt, als Akteur, mit andern zusammen, in einer Handlung, der es um mehr geht als ums Ego.

Erst recht fürs neue Jahr. Wie machst du dich auf? Hast du Bilder einer attraktiven Zukunft? Erzählungen, zu denen ihr Jungen sagen könnt: O ja, das wäre schön, da will ich hin, da mach ich mit?

Ludwig

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