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Schauspielerin Eva Mattes (59) über ihr intensives Leben und über ihre Knallphobie, die sie auch als Konstanzer «Tatort»-Kommissarin Klara Blum noch nicht überwunden hat.
Am Bodenseeufer hämmern die Konstanzer gerade die Holzbuden für ihren Weihnachtsmarkt zusammen. Das vorweihnachtliche Idyll ist auch Dreh- und Tatort für Eva Mattes (59). Die Schauspielerin, bekannt als bodenständige Konstanzer «Tatort»-Kommissarin Klara Blum, jagt dort mit ihrem schnöseligen jüngeren Kollegen Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) zurzeit Tätern in Weihnachtsmann-Kostümen hinterher. Der Weihnachts-»Tatort» soll im nächsten Jahr ausgestrahlt werden. Beim Foto-Shooting am Ufer fängt Mattes zu singen an. An der Bar des Steigenberger Inselhotels, wo die Wahlberlinerin während der Dreharbeiten logiert, erklärt sie, warum.
Eva Mattes: Singen ist schön, weil es öffnet. Es öffnet denjenigen, der singt, und es öffnet denjenigen, der zuhört. Es öffnet Herzen, den Geist. Und man atmet gut. (Lacht.)
Singen hat für mich eine enorm positive Kraft. Es ermutigt diejenigen, die friedlich gegen etwas demonstrieren und bildet Gemeinschaft. In meinem aktuellen Liederabend «Werft eure Herzen über alle Grenzen», den Irmgard Schleier zusammengestellt hat und zu dem sie mich am Piano begleitet, geht es ums Auswandern. Ums Auswandern müssen, ums Wiederkehren, um Heimat, Lust und Verlust. Angefangen mit Heinrich Heine über Wolf Biermann, am Ende steht ein südafrikanisches Wiegenlied. Wir wollen so den Emigranten von heute die Hand reichen. Flucht ist wieder ein grosses Thema, wir thematisieren das mit den Liedern der Dichtkunst.
Ja, mit künstlerischen Mitteln. Denn so berühren wir die Menschen, machen sie nachdenklich, ohne den Zeigefinger zu erheben.
Abgesehen davon, dass die Probleme in Afrika direkt gelöst werden müssen, sollten wir aus den reichen Ländern uns öffnen und teilen lernen.
Ja, und wenn die Leute davon erfahren, sagen sie meistens: «Mein Gott, Sie haben ja meine Kindheit begleitet.»
Oh ja, ich fand es toll. Als 14-Jährige fühlte ich mich wahnsinnig geehrt, dass ich das machen durfte. Ich war vorm Einsingen im Studio furchtbar aufgeregt, weil ich nicht wusste, ob ich das überhaupt kann. Denn ich musste mit sehr hoher Stimme singen. Wenn ich das heute höre, denke ich, wie süss.
In den 1970er-Jahren habe ich sehr viel Theater gespielt und für das Kino gedreht. Das Fernsehen habe ich gemieden, als Kinogesicht wäre ich sonst verbraucht gewesen. Als das Angebot für den «Tatort» kam, hab ich mir das in der Tat einen Moment lang überlegt. Ich fragte mich, was das mit mir und in den Köpfen von Publikum und Regisseuren macht, die einen gern in Schubladen reinstecken. Ich habe mich trotzdem für «Klara Blum» entschieden. Mittlerweile merke ich den Nutzen. Wenn ich mit meinen Liederabenden auf Reisen gehe, ist da auch wirklich Zulauf.
Eva Mattes (59), geboren in Tegernsee (D), steht seit ihrem 12. Lebensjahr auf der Bühne. Als Kind gab sie Timmy aus der Fernsehserie «Lassie» und Pippi Langstrumpf eine deutsche Stimme. 1970 sorgte sie als jugendliche Hauptdarstellerin im Antikriegsfilm «o.k.» für einen Skandal auf der Berlinale. 1973 gewann sie den Deutschen Filmpreis für Auftritte in zwei Fassbinder-Filmen. Mattes wirkte in vielen Theaterinszenierungen des verstorbenen Peter Zadek mit und wurde 1979 in Cannes ausgezeichnet für ihren Part in Werner Herzogs «Woyzeck». Seit 2002 deckt sie als Konstanzer «Tatort»-Kommissarin Klara Blum Fälle im Dreiländereck auf. Daneben tritt sie als Chanson-Sängerin auf und spielt Hörbücher ein. Die Mutter zweier erwachsener Kinder lebt mit dem österreichischen Künstler Wolfgang Georgsdorf in Berlin. (JST)
Ja, radikaler, wilder.
Genau! (Lacht.) Auf der anderen Seite habe ich mich damit ausgesöhnt. Ich mag die Figur, sie ist mir doch auch nah. Und sie hat ihr Publikum. Ich erlebe das an den Liederabenden, wenn ich Programme und Bücher signiere.
Ja, sie arbeitet oft die Nächte durch. Deshalb hat sie ein Sofa im Kommissariat.
Wenn hier ein Kind mit einem aufgeblasenen Luftballon reinkommen würde, müsste ich diesen Raum sofort verlassen. Oder der Luftballon. (Lacht.) Ich bin das Problem auch schon mal angegangen, habe bereits einmal eine Therapie gemacht, dann ging es auch sehr viel besser, aber es ist wieder schlimmer geworden.
Um mit grossen Künstlern zusammenzuarbeiten, braucht es keinen Mut, das ist ein grosses Glück. Aber: Im Buch «Ein Mann» der italienischen Schriftstellerin und Journalistin Oriana Fallaci habe ich gelesen: «Mut ist Angst.» Ich habe sehr viel Angst, auf die Bühne zu gehen. Das zu überwinden ist dann tatsächlich Mut.
Ich war exzessiv! Während der Proben lebt man sowieso immer intensiv, da kämpft man dauernd mit der Rolle, will herausfinden, wer der Mensch ist, den man spielt. Und wenn man jung ist, geht man abends dann meistens noch weg. Was habe ich früher die Nächte durchgemacht und bin dann morgens auf die Bühne zur Probe. (Lacht.) Und wenn man wie ich als berufstätige Mutter auch noch zwei Kinder aufzieht, bleibt wenig Zeit für Pausen. Da komme ich abends zur Tür herein, und gleich gehts weiter.
Für mich ist beides zu sein ein Geschenk. Und dank meiner Kinder bin ich nicht mehr in diese Löcher gefallen, wenn eine lange Zeit intensiver Theaterproben oder Dreharbeiten zu Ende ging. Wenn ich heute in Konstanz den «Tatort» drehe, gehe ich nach dem Dreh aber gleich auf mein Zimmer, ruhe mich aus und lerne meinen Text für den nächsten Tag. Und manchmal schalte ich dann noch den Fernseher ein.
Man hat mich schon früh als Anti-Typ eingestuft. Trotzdem habe ich nie ganz verstanden, warum ich von der Kritik diesen Stempel aufgesetzt bekam. Im Film «Woyzeck» von Werner Herzog bin ich als Marie ja auch kein Monstrum. Und in «Deutschland, bleiche Mutter» von Helma Sanders-Brahms war ich auch sehr zart.
Naja, bei einer ganzen Flasche wäre ich tot umgefallen. Ein Whiskyglas mit Doornkaat wars. (Lacht.) Das war in «Supermarkt», ein toller Film. Ich sollte als Prostituierte besoffen mit einem Teller Spaghetti auf die Reeperbahn laufen und innerhalb von Sekunden das Laufpublikum auf mich aufmerksam machen. Gedreht wurde mit versteckter Kamera. Was für eine Aufgabe für eine 18-Jährige! Ich konnte das nicht. Deshalb dachte ich: Dann besauf ich mich halt. Als gedreht wurde, hab ich die Tür aufgemacht, bin zwei Stufen runtergetorkelt und sofort auf die Schnauze gefallen. Als ich raufgeschaut hab, standen die Leute um mich herum. Und da hab ich in meinem Suffkopf gedacht: «Super, hat ja funktioniert.» Ich hab rumgegrölt, es war völlig wirr, wie eine Fellini-Szene.
Es kommt drauf an, obs mich reizt, ob mein Ehrgeiz geweckt ist, ob es der Sache dient. Immerhin bin ich noch in meinem zweiten «Tatort» in einer eiskalten Novembernacht im Konstanzer Hafenbecken geschwommen.
Das war Ehrensache! Nach etwa zehn Schwimmzügen hab ich keine Luft mehr bekommen, das Wasser war eisig! Als der Regisseur «Danke» rief, hat mich ein Rettungsschwimmer rausgezogen.
Ich lebte durch meine Arbeit im Film und am Theater schon früh in dieser Erwachsenenwelt. Deshalb war ich geistig reifer. Von heute aus betrachtet denke ich manchmal trotzdem: Was hätte mir nicht alles passieren können. Meinem damaligen Freund gegenüber meinte ich erst kürzlich: «Du weisst, was das alles für Konsequenzen hätte haben können?» Er meinte darauf nur: «Nein, das war nicht so. Du warst erwachsen.» (Lacht.) Er besteht also noch heute darauf.
Meine Mutter war sehr tolerant und hat in diesem Fall wohl beide Augen zugedrückt. Sie hat gesehen, dass es mir gut ging.
Er verstand so viel von den Menschen. Er liebte Schauspieler, provozierte uns aber auch, lockte so unsere Abgründe heraus. Er war überraschend, bei jeder Produktion anders.
Einmal sagte er zu mir, ich hätte mir beim Fernsehen so eine schöne Stimme angewöhnt, das sei ja ganz schrecklich. Mich hat das sehr geärgert. Ich fing sofort an zu krächzen und zu schreien. Und plötzlich merkte ich, wie recht er hatte. Die Rolle, die ich spielte, war intrigant und verschlagen und hatte keine Wohlfühlstimme.
Ich hab sie noch nicht kennen gelernt. (Lacht.) Viele trauen sich gar nicht, mir etwas zu sagen. Viele können es auch nicht. Es gibt wenig Regisseure, die von Schauspielerei etwas verstehen. Ich kann mir zwar immer selbst helfen, aber auch ich bin besser, wenn ich inspiriert und herausgefordert werde.
Ich neige nicht zur Ironie. Ich hab mir immer noch eine Naivität bewahrt, die erhält mir für das Spiel eine grösstmögliche Offenheit. Wenn ich ironisch bin, ist es oft Zufall. (Lacht.)
Soweit ich darüber gelesen habe, erscheint mir das mehr wie eine Modeform.
Nein. Aber Irmgard Schleier war viele Jahre in Hamburg Intendantin des internationalen Festivals der Frauen, und ich war erste Vorsitzende unseres Vereins. Wir haben Frauen aus aller «Herren Länder» eine Bühne bereitet. Zum ersten Mal standen damals Dirigentinnen, Regisseurinnen, Komponistinnen in vorderster Reihe und – die Männer im Hintergrund.
Tatsächlich hab ich mir neulich etwas dazu überlegt, aber ich kanns nicht verraten. Wer weiss, vielleicht drehen wir es tatsächlich. Mein Abgang wäre absurd bis unrealistisch. Aber wunderschön. Rilke würde sagen: «Es geht ins Offene.»
Einziger Schweiz-Auftritt «Werft eure Herzen über alle Grenzen». Liederabend mit Eva Mattes (Gesang) und Irmgard Schleier (Regie und Piano). Casino Theater Burgdorf, 12. Dezember.