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Herbert Grönemeyer: «Musik ist im Film wie ein Gewürz»

Herbert Grönemeyer amtet am Zurich Film Festival als Jurypräsident des Deutschsprachigen Wettbewerbs. Ein Gespräch über sein neu entfachtes Interesse an der Schauspielerei und was ihm ein guter Film bieten muss.

Urs Arnold
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Herbert Grönemeyer
9 Bilder
Grönemeyer während eines Konzerts im Wörthersee-Stadion in Klagenfurt
Grönemeyer 1994 in Berlin
Grönemeyer 2002
Gross und Grönemeyer: Zwei Meister bei der Meisterfeier des FCB 2008 in Basel.
Grönemeyer 2011 in Hamburg bei der Lancierung der CD «Schiffsverkehr»
Herbert Grönemeyer (links) als Schauspieler in «Das Boot».
Schliesst eine Zukunft als Regisseur nicht aus: Musiker und Schauspieler Herbert Grönemeyer.HO
Herbert Grönemeyer Der Sänger spendete 1998 seinem krebskranken Bruder Wilhelm Grönemeyer Knochenmark, genauso wie Bruder Dietrich Grönemeyer, der als Radiologe arbeitet. Zunächst schien die Therapie erfolgversprechend, doch wenige Wochen später starb Wilhelm Grönemeyer. Das Baby auf dem Schwarz-Weiss-Foto ist übrigens Herbert selbst.

Herbert Grönemeyer

Keystone

Welcher war der erste Kinofilm, den Sie gesehen haben?

Herbert Grönemeyer: Ich glaube, das war «Bambi». Ich weiss noch, dass ich erschüttert war, als die Mutter von Bambi stirbt. Geschockt.

Wie alt waren Sie da?

Acht oder neun. Das Erlebnis hat mich lange verfolgt.

Gingen Sie als Jugendlicher oft ins Kino?

Dafür fehlte mir das Geld. Film selber hat mich aber schon fasziniert. In der Schule gab es in der grossen Aula Filmabende. Da liefen alte Buñuel- und die ersten Fassbinder-Filme. Das konnte man sich leisten, denn der Eintritt kostete nur 50 Pfennig. Aber ins Kino gehen war für mich bis 16 kaum möglich.

Wenn nur schon das Kino so unerreichbar ist, stellt man sich wohl kaum vor, mal selbst auf der Leinwand zu enden.

Das lag natürlich jenseits aller Vorstellung. Ich habe nie davon geträumt, berühmt zu werden. Das hat sich einfach alles so ergeben. Das klingt jetzt völlig banal, aber das Einzige, was ich werden wollte, ist Fussballer. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, da gibt es nur Fussball. Und dann bin ich zufällig als Pianist am Theater in Bochum gelandet.

Es war demnach die Musik, die Sie zur Schauspielerei brachte.

Exakt. Das Theater wurde zum Ausgangspunkt. Und dann suchte man für «Das Boot» händeringend junge, billige Schauspieler. So kam ich auf die Leinwand. Ich war da als Schauspieler sicher nicht so schlecht, aber (überlegt) ... nun, ich glaube, es gibt bessere. In der Musik fühlte ich mich mehr zu Hause.

Was kam danach?

Danach habe ich «Frühlingssinfonie» mit Nastassja Kinski gedreht. Damals empfahl Bernd Eichinger dem Regisseur Peter Schamoni, mich nicht zu nehmen, weil ich bei «Das Boot» so viel Ärger gemacht habe. Aber das ist ein anderes Thema. Wir mussten dort auf eigenes Versicherungsrisiko drehen. Das war alles ganz furchtbar.

Erzählen Sie mehr.

Darüber könnte ich eine Stunde reden. Aber das gehört nicht hierher. Herr Schamoni hat mich dann aber trotzdem besetzt. Später drehte ich bei der Bavaria mit Burt Lancaster und Julie Christie «Väter und Söhne». Da hiess es wieder, man solle mich nicht nehmen. Bernhard Sinkel hat mich schliesslich durchgesetzt. Doch dann kamen meine Kinder, und meine Frau wurde krank.

Sie hörten also nicht auf, weil Ihnen Mitte der Achtziger der Durchbruch als Musiker gelang?

Die Musik nahm schon einen grossen Platz ein. Die ganze Filmgeschichte habe ich aber wegen meiner Frau und den Kindern an den Nagel gehängt. Würde aber jetzt jemand kommen, könnte ich mir vorstellen, wieder zu spielen.

Man hat tatsächlich vernommen, dass es Sie wieder juckt.

Ich habe den ersten Film von Anton Corbijn, «Control», mitfinanziert. Für seinen zweiten («The American», Anm. d. R.) habe ich die Filmmusik geschrieben. Und für seinen neuen, eine John-le-Carré-Verfilmung, hätte ich die Hauptrolle spielen sollen. Die Geldgeber wollten das aber nicht. So bekam Philip Seymour Hoffman die Rolle. Der ist aber auch ein ganz anderes Kaliber. Nun schreibe jetzt dafür die Musik, und das ist gut so. Ausserdem habe ich mich neulich mit Volker Schlöndorff getroffen, das könnte eventuell was werden. Ich will Stück für Stück wieder ein bisschen in den Film reinriechen.

War es Corbijns Wechsel ins Regiefach, der das Interesse neu entfachte?

Ich sagte damals zu ihm, er soll doch mal einen Film machen. Und er meinte, er drehe einen, wenn ich darin eine Rolle spiele. Ich hatte dann auch eine kleine in «Control». Früher hat er Videos zu meiner Musik gedreht, und jetzt darf ich die Musik zu seinen Filmen schreiben. Vielleicht klappt es ja irgendwann doch noch mit einer Rolle.

Sie wurden zur der Zeit als Musiker berühmt, als Musikvideos aufkamen. Wie wichtig sind Ihnen die als künstlerischer Kanal?

Sie sind mir schon sehr wichtig. Das war auch der Grund, wieso ich mit Anton Corbijn zusammengekommen bin. Ich fand gerade seine Depeche-Mode-Videos toll. Und darum habe ich Anton angerufen, weil ich unbedingt mit ihm arbeiten wollte. Zuerst wollte er nicht. Ich brauchte drei Jahre, bis er sich mal dazu bereit erklärte, mit mir Fotos zu machen. Das war 1988 in Paris. Und dann drehte er das erste Video zu meinem Song «Marie» in Los Angeles. Wir verstanden uns gut, und nun ist er ein enger Freund. Anton hat mir sehr geholfen in meinem Leben, als es mir schlecht ging.

Fühlt man sich beim Komponieren von Filmmusik künstlerisch eingeengt, oder ist man froh, sich am Inhalt orientieren zu können?

Man kriegt schneller Halt, und das ist sehr hilfreich. Normalerweise mache ich Musik für mich. Ich bin also mein eigener Herr. Wenn man Musik für einen Film schreibt, ist man wie ein Schauspieler. Dann muss man schauen, dass man sein Ego einen Tick zurückstellt. Es ist aber enorm inspirierend, wenn man da vor einer Filmszene sitzt und dazu anfängt zu schreiben. Das hat mir irre Spass gemacht.

Nehmen Sie als Musiker Musik im Film bewusster wahr?

Ich denke schon. Den Film «Abbitte» konnte ich inhaltlich nicht einordnen, aber die Musik war unglaublich gut. Im Unterbewusstsein höre ich sicher etwas mehr auf die Musik. Mir fällt sie aber vor allem dann auf, wenn sie nervt oder ganz schwach ist. Ich glaube, ein Film benötigt im Grunde genommen nur wenig Musik. Als ich bei «The American» den langen Rohschnitt gesehen habe, dachte ich, da braucht es eigentlich gar keine.

Herbert Grönemeyer

Herbert Grönemeyer ist einer der erfolgreichsten und populärsten Musiker im deutschsprachigen Raum. Mit der Platte «4630 Bochum» gelang ihm 1984 der Durchbruch. In den 70er-Jahren kam der heute 56-Jährige als Pianist zum Schauspielhaus Bochum. Dort fing er bald an, Theater zu spielen. Nach Rollen in diversen TV-Produktionen verkörperte er den Leutnant Werner in Wolfgang Petersens Meilenstein «Das Boot». 1998 musste Grönemeyer zwei schwere Schicksalsschläge verkraften: Sein Bruder Wilhelm und seine Frau Anna starben innerhalb zweier Tage, beide an Krebs. Auf dem Album «Mensch», mit knapp vier Millionen verkauften Einheiten sein erfolgreichstes Werk, verarbeitete er seine Trauer. (UA)

Aber Sie konnten ja schlecht sagen, dass da keine Musik rein darf.

Klar, aber dann haben wir eben gemeinsam einen Weg gesucht. Musik ist im Film wie ein Gewürz. Wenn die Zutaten im Essen gut sind, braucht es nicht so viele Gewürze. Es sei denn, man hat einen Film, der einfach nur grosses Drama bieten will.

Am Zurich Film Festival sind Sie Jurypräsident des Deutschsprachigen Spielfilmwettbewerbs.

(Lacht laut auf) Jurypräsident! Das klingt doch gut!

Waren Sie denn schon mal in einer Filmjury?

Nein, ich war in meinem ganzen Leben noch nie in einer Jury! Ich war überrascht, dass ich dafür angefragt wurde.

Was muss ein Film Ihnen bieten, damit er Ihnen gefällt?

Er muss mich durchgehend bannen, wie ein gutes Konzert oder ein gutes Musikstück. Er muss meine Gefühle anregen, in welcher Form auch immer. Er muss mich betreffen, ob auf heitere oder traurige Weise.

Ein Happy End ist keine Voraussetzung?

Nein, absolut nicht. Zuallererst muss er mich leidenschaftlich berühren. Ganz schlimm ist es, wenn ein Film so schwabbelig ist, so mittig. Wenn man echt nicht weiss, warum man da eigentlich drinsass.

Ihr Lieblingsfilm?

Meine Lieblingsfilme sind die frühen Scorsese-Filme, «Taxi Driver» oder «Raging Bull». Das sind die Filme, die mich im Nachhinein auch am meisten berührt haben.

Wäre es bei Ihrer fortschreitenden Annäherung zum Film auch ein Thema, Regie zu führen?

Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber alleine würde ich mir das nicht zutrauen. Es müsste mit jemand anderem sein, wie bei den Coen-Brüdern. Das Schauspielerische könnte ich sicher handhaben. Was mir fehlt, ist optische Vorstellungskraft.

Hätten Sie denn einen Stoff für Ihr allfälliges Debüt?

Da gibt es dieses Buch von James Baldwin, «Giovannis Zimmer». Das habe ich so mit 25 gelesen. Als mich die Berliner Produktionsfirma X-Filme fragte, ob ich nicht mal wieder drehen möchte, sagte ich, gerne. Ich durfte den Stoff aussuchen, und schlug dieses Buch vor. Wen ich denn da spielen wolle, fragten sie. Ich meinte, einen von diesen beiden Hauptfiguren. Und die sagten dann: «Aber sie wissen schon, dass die beiden Mitte zwanzig sind?» So richtig war mir das nicht mehr bewusst.