Er ist Dauergast in den besten deutschen TV-Satire-Shows. Jetzt widmet Dietmar Wischmeyer Land und Leuten eine anekdotenpralle Chronik.
Dietmar Wischmeyer verdiente sich erste Sporen als Polit-Spassmacher 1988 im Rahmen der Comedy-Serie «Frühstyxradio» des niedersächsischen Senders «Radio ffn». Von da an gab es kein Halten mehr für den 1957 geborenen Satiriker und Kolumnisten, der sein Philosophiestudium in Bielefeld abgeschlossen hatte. Gnadenlos lustig mischte er fortan die unterschiedlichsten TV- und Radio-Formate mit seinen Gags und Einlassungen zum deutschen Polit-Geschehen und seinen wechselnden Protagonisten auf. Seine Schöpfungen «Günther der Treckerfahrer» oder die «Arschkrampen» machten ihn berühmt –, seine Shows sind seitdem meist schon Monate voraus ausgebucht.
Inzwischen ist der Mann über dreissig Jahre im Geschäft – und die Liste seiner Veröffentlichungen und Auszeichnungen ist titelreich und lang. Nicht wenige sehen in dem spitzzüngigen Spötter längst den Immanuel Kant unter Deutschlands satirischen Nach- und Vordenkern. In den besten TV-Satire-Shows ist er Dauergast.
Dabei kommen ihm Bonmots wie «Alle wollen im Urlaub dorthin, wo man braun wird. Dabei kann man in der Lüneburger Heide auch braun werden, nur leider nicht von aussen» inzwischen so selbstverständlich über die Lippen, als hätte der heute 64-Jährige nie anders als in satirischen Zuspitzungen gedacht.
Nun legt Wischmeyer seinen ersten Roman vor, und wie es bei dem Mann mit dem rotblonden Haupthaar und dem Ziegenbart nicht anders zu erwarten war, verpackt er darin eine Menge Sprach-Wahnsinn. Nach Kurt Tucholsky, in dem nicht wenige den Gründervater der zeitgenössischen deutschen Satire sehen, ist «der Satiriker ein gekränkter Idealist».
Wischmeyer würde dem mit Blick auf Wolfgang Schrage, den Protagonisten seines Anekdoten-Feuerwerks, nicht widersprechen; präsentiert er doch mit der blauäugigen Frohnatur den Typ Super-Idealisten, der feuchte Augen kriegt, wenn er nur daran zurückdenkt, dass er einst sein Traumauto, einen VW Jetta GT, verkaufen musste.
Überhaupt: Ein Mann und seine Liebe zu seinen Autos! Darüber kann Wischmeyer so herrlich blöd daherschwadronieren, dass man sein Epos über den kleinen Jedermann Schrage am Ende mit Bedauern zuklappt. Man hätte am liebsten weitere 800 Seiten darüber gelesen, wie er über die geheimnisvollen tiefenpsychologischen Verstrickungen zwischen Mensch und Auto denkt. Denn – so Schrages unelitäres Credo: Wer setzt sich schon in einen Porsche oder in einen BMW, wenn er einen VW Corrado oder einen Nissan Bluebird haben kann?
Wischmeyer, offenbar von Haus aus ein kritischer Geist, in dem eine Frohnatur haust, entrollt mit Verve und Tempo in seinem Buch die anekdotenpralle Chronik seines Helden vom verkappten Konditor-Lehrling und passionierten Strassenteerspritzer bei einem von Deutschlands grössten Tiefbau-Unternehmen, der StrWAG, zum Fertighausdieb und Wohnwagenbesitzer. Angefangen bei der Heirat mit seiner Jutta, der Guten.
Die Episode der Heiratsvorbereitungen der beiden samt anschliessender Vermählung und Feier zählt zu einem der Höhepunkte des Buches. Denn wie es Wischmeyers Jedermann versteht, die eigene Heirat ganz nebenbei zur ertragreichen Geldbeschaffungsmassnahme umzufunktionieren, das ist grandios.
So reiht sich Anekdote an Anekdote: von Schrages kruden Bundeswehr-Erfahrungen, über seine Erlebnisse als Vollblut-Strassenarbeiter bis hin zu den tollen Jahren in Lisbeths «Bräustübchen», in dem eine Handvoll sympathisch bekloppter Szene-Grössen ihre aberwitzigen Lebensläufe regelmässig bei 12 bis 15 Frischgezapften Revue passieren lassen – in astreinem Proll-Deutsch wohlgemerkt.
Dietmar Wischmeyer hat ein feines Ohr für den kruden Slang der sogenannten Kleinen Leute. Und während im Hintergrund wie eine Art Rolltapete vier Jahrzehnte deutscher Geschichte an uns vorüberziehen, angefangen in den frühen Achtzigern über den Mauerfall, erhöht sich die Pointen-Dichte dieser satirischen Nummern-Revue zum Ende hin enorm.
«Seid barmherzig. Das Leben ist schon schwer genug!» bekannte Kurt Tucholsky dereinst. Dietmar Wischmeyer hat es verstanden – und getreu Schrages Motto «träume nicht dein Leben, lebe deine Träume» – etwas wunderbar Leichtes daraus gemacht: Eine kleine Sozialgeschichte wechselnder bundesrepublikanischer Macken und Befindlichkeiten von damals bis heute.
Dietmar Wischmeyer: Begrabt meinen rechten Fuss auf der linken Spur. Roman. Rowohlt Berlin. 284 Seiten.