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Kultur
Ob New York und Wales, Künstler und Bergbäuerinnen: Evelyn Hofer hat Menschen und Städte ehrlich und schön fotografiert. Ihre Kompositionen sind zeitlos und funktionieren doch als Zeitzeugen.
Ein Polizist in Uniform auf dem schweren Motorrad vor verführerisch blühenden Sträuchern in einem Park. Das Bild fährt ein. Aber warum? Irgendwie weckt die Kombination Unsicherheit und Widerspruch – aber auch Bewunderung, ein Lächeln gar.
Da sitzt also dieser Vertreter der Staatsgewalt, tipptopp sitzt die Uniform, das weisse Metall von Schutzblech, Tank und Helm, die schwarzen Stiefel sind blank poliert, die Chromteile glänzen, selbst ein Knauf an der gegürteten Pistole blitzt hellmetallisch auf. Die Blütenpracht im Hintergrund ist etwas unscharf – umso üppiger, wilder wirkt sie.
Aber was macht der amerikanische Polizist im Park? Warum sitzt er so ruhig, so lang? Den Ständer auf der für uns unsichtbaren Seite hat er aufgeklappt, das verrät die Schräglage der Maschine. Er weiss, dass er fotografiert wird, auch wenn er nicht in die Kamera, sondern akkurat nach vorne schaut.
Den Rücken hält er gerade, den Arm hat er übers Bein gelegt, so dass der hellblaue Streifen an der Hose und die Pistole gut sichtbar sind. Zufall ist das nicht. Arrangeurin und Fotografin ist Evelyn Hofer. Die deutsch-amerikanische Fotografin hat ihn 1965 in Washington so aufgenommen.
In der für sie typischen Mischung von respektvollem Porträt, inszenierter Situation, perfektem Licht und berechneter Wirkung. Erschienen ist das Bild in ihrem Fotobuch «The Evidence Of Washington» von 1966, einem so liebevollen wie abgeklärten Porträt über die Hauptstadt der USA.
Evelyn Hofer, damals 44-jährig, konnte schon Erfolge mit Fotobüchern wie mit Reportagen für wichtige Zeitschriften – von «Sunday Times Magazin», «The New York Times Magazine» und «Life» – verbuchen. Gescheitert war sie fünfzehn Jahre zuvor als Modefotografin: Sie fotografiere nicht die Kleider, sondern liefere Porträts der Modelle, war der Vorwurf.
Zum Glück setzte sie danach auf ihre Stärken: das atmosphärisch, beredte Bild, ihre aus minutiösen Recherchen entstandenen Ideen – und auf ihre klaren Kompositionen. Spanien, Wales und Libanon, Florenz, Dublin und London: Wochenlang lebte und arbeitete sie für ein Projekt vor Ort.
Fotografin gelernt hatte Hofer um 1940 in Zürich. Geboren wurde sie 1922 in Magdeburg, doch die Familie zog 1927 ins Engadin und 1942 aus Angst vor den Nazis nach Mexiko. Schon 1946 zog es Evelyn Hofer nach New York, wo sie bis kurz vor ihrem Tod 2009 meist lebte – und irgendwie doch heimatlos blieb. Wohl fühlte sie sich bei ihren Sommeraufenthalten im Bergell. In Soglio entstanden berührend nahe Porträts der Bergbäuerinnen und Dörfler.
Evelyn Hofer war keine Schnappschuss-Fotografin. Sie war nicht die Flaneurin, die auf den glücklichen Zufall hoffte. Wie auch. Schliesslich spaziert man nicht mit einer Grossbildkamera, einem Koffer voller Objektive und mehreren Stativen stundenlang durch die Stadt. Hofer plante den Zufall.
Wenn Hofer Strassen oder Menschen vor Bars oder in ihrer Arbeitswelt fotografierte, suchte sie Tage zuvor die richtigen Plätze, eruierte die passende Tageszeit für optimale Lichtverhältnisse, bestimmte Kamerastandpunkt und Ausschnitte. Stets zeigt sie Menschen distanziert, aber liebevoll. Reklamen, Fenster oder Architektur sind collageartig angeschnitten, erlauben nur knappe Durchblicke oder werden von Licht und Schatten geteilt.
Genial setzte Hofer schon in den 1950er-Jahren Farbe ein. Als eine der Ersten überhaupt. Mit farbigen Hausmauern und Reklametafeln komponiert sie Bilder, die an Gemälde der Moderne erinnern.
Typisch ist das in ihrem wohl berühmtesten Buch «New York Proclaimed» von 1966 zu finden. Kleider, Möbel und Autos lassen die Bilder zudem zu Zeitdokumenten werden – etwa der widersprüchlichen 60er-Jahre, ihre Machart aber machen sie zu zeitlosen Kunstwerken.
Kunst interessiert Evelyn Hofer stets - und als ihre allerletzte Serie interpretiert sie Kunstwerke. Spanische Stillleben vor allem stellte sie liebevoll mit Früchten und Schalen nach und schuf berückend schöne Fotos.
Eigenwillig setzte Hofer auch Künstler und Künstlerinnen ins Bild. Bei der Homestory über Andy Warhol inszeniert sie seine üppigst eingerichtete Wohnung wie altmeisterliche Gemälde, im Atelier von Lee Krasner und Jackson Pollock erzählen Farbtöpfe und die betropften Schuhe von Krasner auf einem Hocker farb- und bildwirksam abenteuerliche Geschichten.
Ihr Gesamtwerk wäre im Moment in der Fotostiftung Winterthur zu sehen, die aber wie alle Museen geschlossen ist. Doch im Fall von Hofer kann man die Begegnung mit der Fotografin trotzdem empfehlen: Das Buch «Evelyn Hofer – Begegnungen», das zu den Ausstellungen in Deutschland und in Winterthur erschienen ist, bringt das in 50 Jahren entstandene Werk gültig zur Ansicht. Gerade weil Hofer primär für Bücher und Magazine – und nicht für riesige Ausstellungsformate – fotografiert hat.
Evelyn Hofer Begegnungen / Encounters Herausgegeben von Susanne Breidenbach, Steidl Verlag, 280 Seiten. Fotostiftung Winterthur, bis voraussichtlich 24. Mai, im Moment geschlossen.