Der Basler Soundkomponisten Tobias Koch und der Tänzer Thibault Lac nehmen sich eine Figur aus der Theatergeschichte vor und wenden sie mit opulenter Meisterschaft in unsere Gegenwart.
Er ist eine Kippfigur zwischen Himmel und Hölle, Herr und Knecht, Engel und Teufel: der Harlekin. Diese Figur aus der italienischen Commedia dell'arte aus dem 16. Jahrhundert ist in der Theatertradition so etwas wie der Dampfabzug der sublimierten Triebe. Er rülpst, furzt, entlarvt Lügner und reisst dreckige Witze. Soweit die Tradition.
Für die neue Kollaboration des Basler Sounddesigners und Komponisten Tobias Koch mit dem Tänzer Thibault Lac ist der Harlekin der Ausgangspunkt. Vergangenen Donnerstag feierte ihr Stück «Fool's Gold», zu Deutsch etwa «Reinfall» oder «Katzengold», im Theater Roxy Premiere. Mit Bravour gelang es den beiden, diesen Theater-Archetypus für eine tänzerische Gegenwart zu aktualisieren. Aber längst nicht nur.
Eine quadratische Arena, zu einer Seite gesäumt mit gefärbten Stoffbahnen, die an ein Gemälde von Rothko erinnern, davor Tobias Kochs Musikpult: Hier erzeugt er die klanglichen Impulse, die zwei Tänzer im Laufe der nächsten Stunde auf einem gläsernen Podest mit ihren Bewegungen auffangen. Als das Saallicht schwindet, lässt Koch seine erste musikalische Kaskade niederprasseln: Der Bass ist ein Donnergrollen, und auf eine digitalisierte Harfe folgen ein schepperndes Cembalo und die fiebrigen Obertöne einer Orgel.
Wir sind im 16. Jahrhundert angekommen, doch Koch hat es unter Strom gesetzt, und das erste Mal an diesem Abend ist man von der schieren Opulenz dieser Soundkompositionen überwältigt. So geht es auch den Tänzern: In grünstichigen Mesh-Hosen, einem verknoteten Seidenshirt und schwarzen Turnschuhen bückt sich Thibault Lac wie im Fechtkampf Den einen Arm weit von sich gestreckt, die Finger gespreizt – der Bückling eines Greifen.
Immer wieder verrenkt er sich zu Kochs anhaltendem Klanggewitter, als hätte er etwas einzurenken: Leib, Seele, Welt? Hier zupft kein Harlekin vergnüglich an den Fäden des Welttheaters, er ist darin verheddert. Und sein Versuch, sich frei zu winden, kennt keine Zeit – ein ewiger Kampf zur Selbstbehauptung. Koch, in schweren Gummistiefeln und einem T-Shirt in Warnfarbe, stapft immer wieder durch den Raum – wie ein Schwerarbeiter der Klänge.
Als er sich mit einer roten E-Gitarre Lac gegenüberstellt, lässt er sie kreischen, heulen, zetern. Lac versucht weiter, sich frei zu machen. Seine Bewegungen überführt er in ein Ensemble aus Andeutungen aus der Tanzgeschichte: stolze Flamenco-Posen, trippelnder Volkstanz, Poledance-Drehungen, Finger-Herzen aus Popvideos und Schrittfolgen vom klassischen Ballett. Als Tänzer ist Thibault Lacs Harlekin ein Glücksritter durch Zeit und Raum, als Figur ein Zauderer wider besseren Willens.
Aber immerhin ist er nicht allein: An seine Seite tritt schliesslich Stephen Thompson und gewinnt der Figur noch mehr Facetten ab. Er strippt seine Hände aus orangenen Handschuhen für Chemikalien, nur um sie schliesslich wie eine Anemone im Wellengang wiegen zu lassen. An seinen Füssen stecken Stiefel mit gespaltenen Hufen – ein bocksfüssiger Luzifer im verseuchten Korallenriff.
Selten tanzt das Paar im Einklang. Das ist nur konsequent. Schliesslich haben diese Derwische in Haute Couture und orangenem Licht ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden. Koch dirigiert sein digitales Orchester scheinbar von Zauberhand, malträtiert seine Gitarre, rasselt mit dem Schellengurt und raunt schliesslich mit heruntergepitchter Stimme ins Mikrofon: «Tomorrow doesn't have a name anyway.» Nein, das Morgen kennt noch keinen Namen. Aber jetzt wissen wir, wie es sich anfühlt.
«Fool's Gold» von Thibault Lac und Tobias Koch, mit Stephen Thompson. Letzte Vorstellung in Basel heute Abend, Samstag, 23. Oktober 2021, um 20 Uhr im Theater Roxy, Birsfelden.