Die Chinesin Zhang Zhan widersprach Pekings Propaganda und wurde dafür eingesperrt. Sie ist nicht die Einzige.
Die Massnahme war damals weltweit einzigartig: Im Januar 2020 riegelte die chinesische Regierung die Millionenstadt Wuhan ab. Das Wort Lockdown war dem Rest der Welt noch nicht geläufig. Die Bilder aus der zur Geisterstadt verkommenen Metropole schockierten die Welt. Die chinesische Regierung aber beharrte auf ihrer Darstellung: Wir haben alles im Griff, keine Sorge!
Nur wenige Chinesen getrauten sich, die offizielle Propaganda der Regierung zu hinterfragen. Die heute 38-jährige Zhang Zhan war eine von ihnen. Als Bürgerjournalistin ging sie durch Wuhans Strassen, interviewte verzweifelte Menschen vor dem Spital, wollte wissen, was hier vor sich geht – ganz unbeeindruckt von der staatlichen Zensur, die die unheimlichen Vorgänge grosszügig auszublenden versuchte.
Insgesamt 22 Videoclips veröffentlichte die Anwältin. Als Video-Bloggerin versuchte sie, der Wahrheit der frühen Pandemie ins Auge zu blicken. Sie sprach mit Erkrankten, zeigte die chaotischen Zustände in den überfüllten Krankenhäusern, kritisierte immer wieder offen die Reaktion der Regierung.
Doch anstatt ihr dankbar zu sein für ihre frühen Warnungen vor dem gefährlichen Virus, sperrten die chinesischen Behörden Zhang Zhan für zwei Monate in Untersuchungshaft. Schon damals trat sie aus Protest in Hungerstreik. Als ihr Prozess Ende 2020 begann, war sie körperlich bereits deutlich geschwächt. Ein chinesisches Volksgericht in Shanghai verurteilte sie zu Beginn des Jahres schliesslich zu vier Jahren Gefängnis. Der Prozess dauerte keine drei Stunden. Die Urteilsbegründung lautete: Zhang Zhan habe Streit gesucht und Ärger provoziert.
Laut ihren Anwälten wurde die Frau vor ihrer Verurteilung wochenlang gefoltert und gedemütigt. Um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren, trat sie im Sommer in einen Hungerstreik. Damit sie sich die eingesetzte Magensonde nicht entfernen konnte, seien ihr die Hände rund um die Uhr gefesselt worden, behaupten ihre Anwälte. Seit diesem Monat ist Zhang Zhan erneut im Hungerstreik.
Anfang November schliesslich schlug ihr Bruder Alarm. Seine Schwester sei körperlich am Ende. Sie habe fast die Hälfte ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren. Sie werde den kommenden Winter möglicherweise nicht überleben, schrieb er auf seinem Twitter-Account.
Die Warnung löste einen internationalen «Tweetstorm» aus. Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände forderten die Politik auf, sich für die Freilassung der jungen Frau einzusetzen. «Zhang Zhan hätte die Welt retten können, wenn sie ihre Arbeit aus Wuhan zu Beginn der Corona-Pandemie hätte fortsetzen können», schreibt etwa Deniz Yücel, ehemaliger Türkei-Korrespondent der Zeitung Die Welt, der selber lange als politischer Journalist in der Türkei inhaftiert war. «Die Welt steht jetzt in der Pflicht, Zhang Zhan zu helfen.»
Wir können frei berichten, weil wir in einem Land leben, in dem die Freiheit der Presse eines der höchsten Grundrechte ist!
— Volksverpetzer (@Volksverpetzer) November 29, 2021
Das ist nicht überall so.
Wir schließen uns der Solidarität für #ZhangZhan an und fordern @ABaerbock und @OlafScholz auf, zu handeln! pic.twitter.com/9ZDx0xweMD
Zuvor hatten sich bereits die amerikanische Regierung, die EU und diverse Nichtregierungsorganisationen für Zhang Zhans Freilassung stark gemacht. Bislang erfolglos.
Dabei ist das Schicksal von Zhang Zhan leider kein Einzelfall. Die britische Botschaft in Hongkong spricht von «mindestens 47» politischen Journalisten, die wegen ihrer Arbeit derzeit in Chinas Kerkern sitzen oder schlicht spurlos verschwunden sind.