In der Türkei tickt die Schuldenbombe

Während Staatschef Erdogan nach der gewonnenen Wahl seine Macht zementiert, baut die Lira immer weiter ab. Der Währungszerfall könnte zu einer Bankenkrise führen.

Gerd Höhler, Athen
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Das Warten auf Kundschaft in wirtschaftlich unsicheren Zeiten: Wechselstube und Eisladen im Istanbuler Zentrum. (Bild: Sedat Suna/EPA; 12. Juli 2018)

Das Warten auf Kundschaft in wirtschaftlich unsicheren Zeiten: Wechselstube und Eisladen im Istanbuler Zentrum. (Bild: Sedat Suna/EPA; 12. Juli 2018)

Gespannt blicken Investoren, Unternehmer und Ökonomen heute auf die Sitzung des türkischen Zentralbankrats in Ankara. Er berät über die Geldpolitik. Es ist die erste Zusammenkunft des Gremiums, seit die türkischen Wähler vor vier Wochen Recep Tayyip Erdogan im Amt des Staatschefs bestätigt haben. Die Sitzung gilt deshalb als besonders wichtig. Sie dürfte Aufschluss darüber geben, wie unabhängig die türkischen Währungshüter ihre Aufgabe künftig wahrnehmen können.

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Lira gegenüber Euro und Dollar rund 30 Prozent ihres Werts verloren. Allein seit der Wahl vor einem Monat ging es 4 Prozent bergab. Die Inflation erreichte im Juni mit 15,4 Prozent das höchste Tempo seit 14 Jahren. Die Notenbank könnte versuchen, mit höheren Leitzinsen die Geldentwertung zu bremsen und die Lira zu stützen. Die Währungshüter würden damit allerdings einen Konflikt mit Erdogan riskieren, der sich selbst als «Feind der Zinsen» bezeichnet.

Finanzpolitik als Familienangelegenheit

Schon vor der Wahl kündigte der Präsident an, er werde fortan die Geldpolitik stärker bestimmen. Damit macht er nun Ernst. Gleich nach seiner Vereidigung ermächtigte er sich per Dekret, künftig selbst den Zentralbank -Chef und dessen Vize zu ernennen. Zudem berief Erdogan seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum neuen Finanz- und Schatzminister. Erfahrene und marktfreundliche Politiker wie der bisher für die Wirtschaft zuständige Vizepremier Mehmet Simsek und der ehemalige Finanzminister Naci Agbal sind nicht mehr im Kabinett. Mit der Berufung Albayraks zum Minister macht Erdogan die Finanzpolitik zur Familiensache. Was die Anleger davon halten, zeigte der Lira-Kurs: Er brach nach Albayraks Ernennung um 3,5 Prozent ein. Mitte Juli stufte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit der Türkei eine Stufe tiefer in den Ramsch-Bereich herab.

Erdogan steuert einen riskanten Kurs. Der Staatschef will mit billigem Geld und staatlichen Kreditsubventionen die Konjunktur am Laufen halten. Tatsächlich wuchs die Wirtschaft im ersten Quartal um 7,4 Prozent. Unabhängige Ökonomen warnen aber vor einer Überhitzung, die in einem Crash enden könnte.

Deutlichstes Alarmzeichen ist der Wertverlust der Lira. Er signalisiert eine Kapitalflucht aus der Türkei. Von der schwachen Lira profitieren zwar ausländische Touristen, die für das Essen im Restaurant oder die Andenken im Bazar weniger Euros ausgeben müssen. Auch Exporteuren hilft die Abwertung. Aber viele türkische Unternehmen bringt der Lira-Verfall in existenzielle Schwierigkeiten – jene nämlich, die bei den Banken Fremdwährungskredite aufgenommen haben, ihre Erlöse aber in Lira erwirtschaften. Sie müssen nun immer mehr Geld für Zinsen und Tilgung ihrer Darlehen aufbringen.

Mehrere Konzerne mussten bereits umschulden. Türkische Unternehmen schulden Devisendarlehen in Höhe von 340 Milliarden Dollar. Davon entfallen 51 Milliarden auf Energiekonzerne. Wegen staatlicher Preisfestsetzung können die Versorger ihre Stromtarife nicht einfach anheben, um die höheren Kapitalkosten zu decken. Sie verdienen deshalb nicht mehr genug, um ihre Kredite zu bedienen. Finanzexperten sprechen von einer tickenden Schuldenbombe. Sie könnte die Fundamente des türkischen Bankensystems erschüttern.

Aktionäre mit kalten Füssen

Viele Aktionäre bekommen bereits kalte Füsse: Die Papiere der drei grossen türkischen Geldinstitute Garanti, Halkbank und Isbank verzeichneten in den vergangenen sechs Monaten Kursverluste von rund 40 Prozent. Umso nervöser warten jetzt die Marktteilnehmer auf die Ergebnisse der heutigen Zentralbanksitzung. Der neue Finanzminister Albayrak kündigte an, die Notenbank werde von nun an «effizienter als je zuvor» arbeiten. Damit sagte Albayrak allerdings nichts über ihre künftige Unabhängigkeit.