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Der in Deutschland inhaftierte Solothurner Spion Daniel M. steht vor dem Prozess. Doch wichtige Zeugen wurden nicht befragt. Warum?
Seit April schmort der gebürtige Solothurner Daniel M. im deutschen Knast. Er will nur eines: raus. Bald ist es vielleicht so weit: Am 18. Oktober beginnt in Frankfurt der Prozess gegen den angeblichen Schweizer Spion. Deutschland beschuldigt ihn der «geheimdienstlichen Agententätigkeit» im Sold des Schweizer Geheimdienstes (NDB).
Daniel M. hat gegenüber den Untersuchungsbehörden eingeräumt, dass er eine bereits bestehende Liste ausgefüllt hat. Er gab zu, dem NDB geholfen zu haben, Daten von deutschen Steuerfahndern zu «vervollständigen». Strittig ist, wie sensibel diese Daten waren: Gemäss Beobachtern hätte selbst ein Vierzehnjähriger sie aus Facebook zusammentragen können.
Zentraler Vorwurf an M. ist: Er soll «eine Quelle» im Finanzministerium des Bundeslands Nordrhein-Westfalen platziert haben soll. Dieser Vorwurf stützt sich allerdings allein auf Aussagen, die M. selbst gemacht hat: gegenüber der Schweizer Bundesanwaltschaft, die ihn im Frühjahr 2016 verhaftete.
Beweise für die «Maulwurf»-Behauptung gibt es offenbar keine. So wurde die «Quelle» bisher auch nicht gefunden. Entlastet wird M. durch seinen deutschen Geschäftspartner Klaus Dieter Matschke, der von einer solchen Quelle nichts wissen will (die «Nordwestschweiz» berichtete). Matschke wurde als Zeuge befragt. Er ist selbst nicht beschuldigt, was darauf hindeutet, dass die deutsche Justiz seine Version glaubt.
Die Frage also, ob Daniel M. im Auftrag des NDB eine Quelle platzierte, dürfte für den Ausgang des Verfahrens und das Strafmass zentral sein.
Klarheit darüber könnten einige Schweizer Behördenvertreter schaffen: Paul Zinniker, Stellvertretender Chef des NDB. Carlo Bulletti, Staatsanwalt des Bundes, der gegen M. ermittelte. Und Bundesrichter Niklaus Oberholzer, Präsident der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), der Aktenkenntnis im Fall hat.
Der Verteidiger des Schweizers, der Hamburger Anwalt Robert Kain, stellte im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens daher den Antrag, die drei Schweizer als Zeugen zu befragen. Und das Gericht wies die deutsche Bundesanwaltschaft auch an, die entsprechenden Ermittlungshandlungen «zeitnah» durchzuführen.
Aber das ist offensichtlich nicht passiert: Das für Rechtshilfe zuständige Schweizer Bundesamt für Justiz (BJ) sagt auf Anfrage, es sei zur Sache «kein Rechtshilfeersuchen eingegangen». Zwischen der Schweiz und Deutschland sei aber auch «der direkte Behördenverkehr möglich». Doch auch das passierte offenbar nicht. Bundesrichter Oberholzer sagt: «Eine Anfrage oder Einladung ist nicht eingetroffen. Auch hatten im Übrigen weder die AB-BA noch ich persönlich irgendeinen Kontakt zu den deutschen Behörden.» NDB und BA wollen sich nicht äussern.
Auch Robert Kain, Anwalt von Daniel M., antwortet abschlägig: «Nach meinen Kenntnissen ist den Beweisanträgen der Verteidigung bisher nicht nachgegangen worden.»
Die Schweizer Zeugen wurden also offensichtlich nicht befragt. Die Frage ist: Warum?
Eine Antwort, die auf der Hand liegt: Deutschland hat kein Interesse, allzu tief im Sumpf zu graben und die ganze Wahrheit der Spionageaffäre ans Licht zu bringen. Denn es sind Geheimdienste und Schlapphüte verwickelt, auch auf deutscher Seite: Der deutsche Partner von Daniel M. etwa war einst selbst Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Wie auch die beiden Deutschen, die Daniel M. in Zusammenarbeit mit der UBS und der Schweizer Bundesanwaltschaft in Frankfurt eine Falle stellten. Sie gaben sich als Käufer gestohlener Bankdaten aus und filmten die Geldübergabe heimlich in einem Hotel in Frankfurt (siehe Foto). Die Hintergründe der Aktion: unklar.
Geht es also darum, geheimdienstliche Aktivitäten und Quellen unter dem Deckel zu halten? Sicher ist: Die beiden Dienste arbeiten traditionell sehr eng zusammen. Der NDB wird bisweilen sogar als «Filiale des BND» bezeichnet.
Einige Beobachter glauben, dass «Spion» Daniel M. eine Art Bauernopfer in einer Geheimdienstverschwörung ist. Dass die Umtriebe der Dienste nicht ans Licht kommen werden. Ob das so ist, zeigt sich ab Mitte Monat.