Grossbritannien
«Nach Strich und Faden belogen»: Es wird eng für Boris Johnson - reicht seine Entschuldigung, um im Amt zu bleiben?

Der britische Premier steht wegen Verletzung von Corona-Bestimmungen auf der Kippe. Im Unterhaus musste er eine umfassende Entschuldigung abgeben.

Sebastian Borger, London
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Im Sturm der Kritik: Der britische PremierBoris Johnson wurde von den Abgeordneten im Unterhaus in die Mangel genommen.

Im Sturm der Kritik: Der britische PremierBoris Johnson wurde von den Abgeordneten im Unterhaus in die Mangel genommen.

Kirsty Wigglesworth / AP

Vorwürfen elegant ausweichen, die Atmosphäre durch einen Scherz verändern, durch heftige Angriffe auf den politischen Gegner von eigenen Versäumnissen ablenken – Boris Johnson ist ein Meister in all diesen Disziplinen. An diesem Mittwoch Mittag aber sagt der Premierminister im überfüllten Plenarsaal des Londoner Unterhauses:

«Ich möchte mich in aller Form entschuldigen. Ich bereue zutiefst, dass wir diesen Fehler gemacht haben.»

Die Spannung ist mit Händen zu greifen. Alle Anwesenden wissen, dass es diesmal um die Karriere des 57-Jährigen geht.

Wohlgemerkt – der Regierungschef entschuldigt sich nur für ein Event während des ersten Coronalockdowns, das seit Wochenbeginn die britische Öffentlichkeit beschäftigt. Die Einladung zur Party am 20. Mai 2020 versandte Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds an mehr als 100 Bedienstete der Regierungszentrale: Man wolle «sozial distanziert» im weitläufigen Garten «das schöne Wetter» geniessen, hiess es da, gefolgt vom Hinweis: «Bringen Sie Ihre eigene Flasche.» Rund 30 Menschen nahmen teil, darunter auch der Premier, «für rund 25 Minuten».

Klarer Verstoss gegen die Coronaregeln

Dies verstiess – soviel räumt Johnson ein – gegen die damals geltenden strengen Lockdown-Bestimmungen: Die Briten durften sich höchstens mit je einem anderen Menschen - und auch dies nur draussen - treffen. Besuche in Spitälern, Altenheimen, befreundeten Privathaushalten – alles verboten. Für Unternehmen galt die Pflicht, das Arbeiten vom Home Office aus zu ermöglichen.

Wochenlang wurde die Insel im Frühling 2020 von der Sonne beschienen. Um die Arbeit in der engen Regierungszentrale zu erleichtern, sei in dieser Zeit, so führt Johnson aus, häufig Arbeit aus den Büros in den Garten verlegt worden. Er sei auch am bewussten Tag der irrigen Meinung gewesen, es handele sich um einen Arbeitstermin.

Opposition läuft Sturm

«Albern und beleidigend» seien die Ausführungen des Premiers, wettert Oppositionsführer Keir Starmer, «seine Entschuldigung ist wertlos». Längst habe die Öffentlichkeit den Eindruck, von Johnson «nach Strich und Faden belogen» worden zu sein. Der Labour-Chef erinnert an Gesundheitsminister Matthew Hancock und die frühere Regierungssprecherin Allegra Stratton, die wegen ähnlicher Vergehen zurücktraten. «Warum gelten die gleichen Regeln nicht für ihn?»

Labour-Chef Keir Starmer (r) nimmt sich im Unterhaus Boris Johnson vor.

Labour-Chef Keir Starmer (r) nimmt sich im Unterhaus Boris Johnson vor.

AP

Wie Starmer fordern auch die Fraktionschefs der schottischen Nationalpartei und der Liberaldemokraten Johnsons Rücktritt. Der Premierminister geht mit keinem Wort darauf ein, an den eigenen Rücktritt denkt er offenbar nicht. Nach seinem Auftritt aber streift er durch das Parlament und wirbt in der eigenen Fraktion um Sympathie und Unterstützung. Das hat Johnson nötig, darauf lässt das Verhalten seiner schärfsten Rivalen ums höchste Regierungsamt schliessen. Finanzminister Rishi Sunak nimmt gar nicht erst an der Unterhaussitzung teil. Aussenministerin Liz Truss sitzt zwar auf der Regierungsbank neben Johnson, lässt aber keinerlei Unterstützung erkennen.

Kein Zweifel: Bei den Torys gibt es ernsthafte Diskussionen darüber, ob der in Partei und Fraktion keineswegs geliebte, sondern lediglich als Stimmenfänger respektierte Johnson noch der richtige Chef ist. Die Vorgänge in der Downing Street seien «unvertretbar und nicht zu entschuldigen», sagt die prominente Schottin Ruth Davidson, die für die Torys im Oberhaus sitzt. Anonyme Minister werden reihenweise in den Medien zitiert:

«So kann es nicht weitergehen.»

Johnson hat also, wenn überhaupt, lediglich ein wenig Zeit gewonnen. An den jüngsten Vorgängen hat sogar die Kripo Interesse gezeigt, wie ein Scotland Yard-Sprecher bestätigt. Und wie ein Damoklesschwert hängt weiterhin die Untersuchung einer Spitzenbeamtin über dem Premier und seiner Ministerriege: Dabei geht es um insgesamt zwölf vermeintliche Verstösse gegen die jeweils geltenden Coronabestimmungen in den vergangenen beiden Jahren.