Fussballfans feiern den türkischen Oppositionspolitiker Imamoglu

Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition steuert auf einen neuen Höhepunkt zu. In Istanbul feierten am Wochenende Zehntausende Fussballfans den designierten Bürgermeister Imamoglu.

Susanne Güsten, Istanbul
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Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu winkt am Fussballspiel vom Wochenende seinen Anhängern zu. (Bild: Erhan Sevenler/Getty, Istanbul)

Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu winkt am Fussballspiel vom Wochenende seinen Anhängern zu. (Bild: Erhan Sevenler/Getty, Istanbul)

Im Stadion des Istanbuler Fussballklubs Besiktas brandeten am Samstagabend laute Sprechchöre auf, die Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht gefallen haben dürften: Zehntausende Fans feierten den Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu, der auf der Tribüne Platz genommen hatte. Imamoglu war nach vorläufigen Ergebnissen bei der Kommunalwahl vor zwei Wochen zum neuen Oberbürgermeister der Metropole gewählt worden, wartet aber immer noch auf seine Ernennungsurkunde. «Gebt ihm die Urkunde, gebt ihm die Urkunde, gebt Imamoglu die Urkunde», riefen die Zuschauer.

Mit seinem Überraschungserfolg bei der Wahl am 31. März ist der 48-jährige Imamoglu zum neuen Hoffnungsträger der türkischen Opposition geworden. Sein Auftritt im Fussballstadion zementierte seinen Ruf als Leitfigur der Erdogan-Gegner weiter. Dass Gastgeber Besiktas bei dem Spiel am Samstag dann auch noch den Lokalrivalen und Erdogan-Lieblingsverein Basaksehir mit 2:1 besiegte, machte die Sache für den türkischen Präsidenten nicht besser.

Erdogan kann Anhänger in Istanbul weniger belohnen

Auch in politischer Hinsicht muss Erdogan schwere Niederlagen verdauen. Istanbul ist seine Heimatstadt und Ausgangspunkt seiner politischen Karriere. Ohne das Bürgermeisteramt in der Wirtschaftsmetropole Istanbul hätte seine Regierungspartei AKP weit weniger Möglichkeiten als bisher, Wohltaten an ihre Anhänger zu verteilen. So hat Imamoglu angekündigt, als Bürgermeister werde er Subventionen der Stadt für viele regierungsnahe Organisationen beenden. Laut Medienberichten müsste dann auch die Bildungsstiftung Türgev von Erdogans Sohn Bilal mit einem Zahlungsstopp rechnen.

Um die Machtübergabe an Imamoglu zu verhindern, hat die AKP in mehreren Bezirken von Istanbul eine Neuauszählung der Stimmen durchgesetzt. Zudem plant sie einen Antrag auf komplette Annullierung der Wahl in der 15-Millionen-Stadt. Die Opposition habe die Ergebnisse verfälscht, beschwert sich die AKP. Zwar ist Imamoglus Stimmenvorsprung vor dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim nach den Neuauszählungen geschrumpft. Doch Beweise für Manipulationen blieb die AKP bisher schuldig.

Nun muss die zentrale Wahlkommission in Ankara entscheiden, ob sie Imamoglus knappen Sieg in Istanbul anerkennt. Ein Beschluss könnte an diesem Montag fallen. Anschliessend könnte die AKP dann formell eine Neuauflage der Wahl verlangen, die dann voraussichtlich am 2. Juni wiederholt würde.

Erdogans Weigerung, das Ergebnis in Istanbul anzuerkennen, verunsichert ausländische Investoren, die auf stabile Verhältnisse in der Türkei warten. Zudem vermissen die Märkte konkrete Reformpläne der Regierung. Gespräche von Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak mit Anlegern in den USA liefen deshalb schlecht, wie die Nachrichtenagentur Reuters und die «Financial Times» berichteten. Die Türkische Lira verlor gegenüber dem US-Dollar und dem Euro weiter an Wert. Experten rechnen nicht mit einem raschen Ende der Rezession.

In Ankara sieht die Regierung die Schuld an der Misere aber nicht bei eigenen Fehlern, sondern bei angeblichen Verschwörern. Regierungsnahe Zeitungen warfen den internationalen Medien wegen ihrer kritischen Berichterstattung über Albayraks Gespräche in den USA vor, eine Kampagne gegen die Türkei zu führen.

Bekannter Ökonom wurde temporär verhaftet

Gleichzeitig gehen die Behörden im eigenen Land weiter mit drastischen Mitteln gegen Regierungskritiker vor. In den frühen Morgenstunden holten Polizisten am Sonntag den bekannten Wirtschaftsexperten Mustafa Sönmez aus dem Bett und nahmen ihn für mehrere Stunden fest. Berichten zufolge wurde Sönmez’ Festnahme mit seinen Kommentaren in sozialen Medien begründet.

In den vergangenen Tagen hatte Sönmez auf Twitter das Verhalten der AKP nach der Istanbuler Wahl und die Wirtschaftspolitik der Regierung ins Visier genommen. So schrieb er, die AKP schaffe mit ihren wirtschaftlichen Massnahmen kein Vertrauen. Deshalb sei, statt einer Erholung eine weitere Verschlechterung der Lage zu erwarten.

Ebenfalls auf Twitter hatte Sönmez am Samstag ein Video verbreitet, auf dem feiernde Besiktas-Fussballfans zu sehen sind, die mit Biergläsern in der Hand dem frommen Muslim Erdogan zuprosten. Sönmez wurde am Sonntagnachmittag zwar wieder auf freien Fuss gesetzt, wird aber wegen Präsidentenbeleidigung und Volksverhetzung vor Gericht gestellt, wie er nach seiner Freilassung sagte.

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