Startseite
International
Vor fünf Jahren explodierte die Ölbohrplattform Deepwater Horizon – erholt davon hat sich die Region noch nicht.
Karl Thayer sitzt am aufgeräumten Schreibtisch und schaut gedankenverloren in die Ferne. In der Luft liegt Ferienstimmung. Dann holt der Mittsechziger tief Atem und sagt: «Wenn man ein gut eingespieltes System durcheinanderwirbelt, dann hat dies Folgen.»
Die Ölbohrplattform Deepwater Horizon explodierte am 20. April 2010 rund 180 Kilometer südlich von Port Fourchon (Louisiana) entfernt. Elf Menschen starben. Erst Mitte September gelang es, das Bohrloch zu stopfen. Da waren aber bereits mehr als 500 Mio. Liter Öl in den Golf von Mexiko geflossen. Verantwortlich für den Unfall war BP, die Betreiberin der Plattform. Transocean, die Besitzerin, und Halliburton, verantwortlich für das fehlerhafte Bohrloch, gingen aussergerichtliche Vergleiche ein.
Thayers Bemerkung bezieht sich auf den Immobilienmarkt in Grand Isle, einem Dorf mit 1200 Einwohnerinnen und Einwohnern an der Südspitze des Bundesstaates Louisiana.
Das Geschäft mit Ferienhäusern in der abgeschiedenen Destination harzt – was auch auf die Ölpest im Jahr 2010 zurückzuführen sei, wie der langjährige Immobilienmakler sagt. Denn Grand Isle diente damals dem Ölkonzern BP als Basis für die gigantische Putzaktion im Nachgang zur Explosion der Plattform Deepwater Horizon. Stammgäste, die am lang gezogenen Sandstrand ihre Ruhe genossen hatten, wurden von der BP-Armee in die Flucht geschlagen, und kehrten nicht mehr zurück.
Aber eigentlich gilt die Einschätzung von Thayer – eine abgeschlossene Welt, die im Kern erschüttert wurde, braucht Zeit, um sich von einem Schock zu erholen – nicht bloss für Grand Isle, dem Fischerdorf. Vielmehr sucht die gesamte Golf-Küste von Port Arthur (Texas) im Westen bis Panama City (Florida) im Osten, die vor fünf Jahren das Epizentrum einer Umweltkatastrophe von historischem Ausmass bildete, nach einer neuen Normalität.
Und obwohl sich die Gemüter etwas beruhigt haben, und es viele Bewohner satthaben, über «British Petroleum» zu sprechen, wie der britische Konzern immer noch häufig genannt wird, ist ein Ende der Turbulenzen nicht abzusehen.
Das hat zwei Gründe. Erstens ist die juristische Aufarbeitung des Unglücks nicht abgeschlossen. Und die parallel verlaufenden Zivilverfahren sind derart komplex, dass selbst Beobachter bisweilen den Überblick zu verlieren drohen.
Klar ist nur, dass die Katastrophe BP bisher mehr als 30 Milliarden Dollar kostete. Eine weitere happige Rechnung wird wohl bald folgen: Wegen Verstössen gegen die Umweltschutzgesetzgebung könnte ein Bundesrichter den Ölmulti zur Bezahlung von bis zu 13,7 Milliarden Dollar verknurren.
Schadenausmass unbekannt
Zum andern ist offen, wie gross denn der Schaden ist, den die Ölpest im Golf von Mexiko verursachte. Der Hauptschuldige der Katastrophe sagt: «Die Gebiete, die betroffen waren, erholen sich, und Daten, die BP sammelte und analysierte, deuten nicht auf langfristige Auswirkungen auf bestimmte Tiergattungen im Golf hin.» So lautet das Fazit einer Studie, die der britische Ölmulti kürzlich veröffentlichte.
Umweltschützer und Regierungsstellen schenken BP aber keinen Glauben. Sie weisen stattdessen darauf, dass in den vergangenen Monaten entlang der Küste Tausende von Delfinen gestorben sind – eine beispiellose Anhäufung. Auch sind die Auswirkungen der Ölpest auf die menschliche Gesundheit nach wie vor weitgehend unerforscht. Offizielle Studien deuten aber darauf hin, dass Männer und Frauen, die sich 2010 an den Putzarbeiten beteiligten und in Kontakt mit Öl und Bindemittel kamen, nun unter gesundheitlichen Beschwerden litten. Die Bindemittel könnten zudem krebsfördernd sein.