Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, soll das Dossier Schweiz übernehmen. Der Slowake ist ein typischer Karrierepolitiker, wurde in einer sowjetischen Kaderschmiede ausgebildet und spielt gerne Basketball.
Knapp eineinhalb Monate nach seinem informellen Brüssel-Besuch bekommt Bundesrat Ignazio Cassis, was er wollte: Einen eigenen Ansprechpartner. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, soll in der EU-Zentrale künftig das Telefon abnehmen, wenn der Schweizer Aussenminister anruft.
Ein solcher Kontakt fehlte bislang: Seit seinem Amtsantritt 2017 wurde Cassis bei der EU nie formell empfangen. Unter Jean-Claude Juncker wie auch seiner Nachfolgerin EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen blieb die Schweiz stets Chefsache, weshalb es den Schweizer Bundespräsidenten vorbehalten blieb, in offizieller Mission nach Brüssel zu reisen. Mit dem österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn pflegte Cassis zwar intensiven Austausch. Zu einem formellen Treffen in der EU-Hauptstadt kam es aber nie.
Jetzt also Sefcovic. Offiziell bestätigen will die Personalie noch niemand. Gutinformierte Quellen rechnen aber schon fest mit Sefcovic. Nach dem Scheitern der Verhandlungen über das Rahmenabkommen im Mai war er es, der die Minister der EU-Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament über die Folgen informiert hat. Und auch die Schweizer Parlamentsdelegation, die kommende Woche für einen Arbeitsbesuch nach Brüssel reist, wird von Sefcovic empfangen werden.
Erwartet wird, dass der EU-Kommissar den Schweizer Parlamentariern einen ersten Vorgeschmack darauf geben wird, wie es aus Sicht der EU nun weitergehen soll. Zurzeit sind die EU-Beamten damit beschäftigt, eine breite Auslegeordnung der Beziehungen zur Schweiz zu erstellen. Ein Bericht dazu soll noch im Herbst folgen.
Sefcovic ist einer von vier Vize-Präsidenten von der Leyens und der Routinier in der EU-Kommission. Noch unter José Manuel Barroso wurde der Slowake im Jahr 2009 Bildungskommissar. Unter Juncker war er fünf Jahre lang Energiekommissar und heute ist er für die Beziehungen zum Europäischen Parlament und zu den EU-Mitgliedsstaaten zuständig.
Seit Anfang Jahr übernimmt Sefcovic auch die wichtige Aufgabe, über die Einhaltung des Brexit-Abkommens mit Grossbritannien zu wachen. In der Vergangenheit zog Brüssel verschiedentlich Parallelen zwischen dem Brexit und den Verhandlungen mit der Schweiz. Einen Vergleich, den man in Schweizer Regierungskreisen entschieden ablehnt.
Der 55-Jährige startete seine diplomatische Karriere Anfang der 1990er Jahre als Berater des stellvertretenden Aussenministers der Tschechoslowakei und amtete später auf verschiedenen Botschafterposten. Studiert hatte er in Bratislava und am renommierten staatlichen Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) in Moskau, einer Kaderschmiede der damaligen Sowjetunion.
Ende der 1980er Jahre ist Sefcovic gemäss Medienberichten auch Mitglied bei der kommunistischen Partei geworden, was ihm manche Kritiker bis heute vorhalten. Ein überzeugter Kommunist dürfte Sefcovic aber nie gewesen sein. Er gilt eher als typischer Karrierediplomat und -politiker und daher als flexibel.
Being healthier, clear-headed and in a good mood - that is what #sport means to me. Join me and let's #BeActive during this year's #EuropeanWeekOfSport. @EuSport @EU_Commission pic.twitter.com/styRdhtbZG
— Maroš Šefčovič🇪🇺 (@MarosSefcovic) September 24, 2018
Im Jahr 2018 versuchte Sefcovic für die Sozialdemokraten, Junckers Nachfolge als Kommissionschef zu ergattern. Während der Kampagne zeigte er sich unter anderem als begeisterter Basketballspieler. In der internen Ausmarchung unterlag er aber gegen den späteren Spitzenkandidaten und heutigen Klimakommissar Frans Timmermans.
Im Frühjahr 2019 nahm Sefcovic eine Auszeit, um für die slowakische Präsidentschaft zu kandidieren, wo er in der zweiten Runde gegen die aktuelle Amtsinhaberin Zuzana Caputova scheiterte. Um Stimmen am rechten Rand einzufangen, vertrat er im Wahlkampf auch LGBT-kritische Positionen und sprach sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aus, was bei seinen sozialdemokratischen Freunden in Brüssel für Stirnrunzeln sorgte.
In Sefcovic wird Aussenminister Cassis einen offenen und unvoreingenommenen Gesprächspartner finden. Gleichzeitig betonen Beobachter, dass er kaum einen Millimeter von der Linie seiner Chefin abweichen wird. Ohne ihre Zustimmung in den Beziehungen Schweiz-EU passiere nichts. Viel Gestaltungsfreiraum wird Sefcovic also nicht haben. Im Schweizer Aussendepartement dürfte man sich über dessen Ernennung aber trotzdem freuen, die von der Leyen noch offiziell beschliessen muss. Cassis darf hoffen, den «neuen politischen Dialog» anzutreten, den er sich nach dem Abbruch der Verhandlungen gewünscht hat.