Bis zum Sechstagekrieg 1967 genoss Israel in der Schweiz uneingeschränkte Bewunderung. Der wehrhafte Kleinstaat war sympathisch. Und viele gingen zur Selbst- oder anderer Verwirklichung in einen Kibbuz, um beim Orangenpflücken zu helfen. Warum hat sich das geändert?
«Pardon, wir haben gewonnen!» Als Fünftklässler wird man nicht gerade volle politische Übersicht für sich reklamieren wollen, aber dieser Titel einer Satirensammlung des damals (1968) populären israelischen Satirikers Ephraim Kishon löste doch etwas aus. Ein Jahr zuvor war eine Sammlung seiner Satiren unter dem Titel «Wie unfair, David!» erschienen. Damit konnte man noch leben, mit dem Nachfolger nicht mehr so gut.
Den Sechstage-Krieg 1967 hatten wir fast zitternd mitverfolgt. Würde es dem kleinen jüdischen Volk nochmals gelingen, sich der Vernichtung zu entziehen? Dass es ein israelischer Präventiv-Krieg war, blieb unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. Man hatte vor allem die arabische Propaganda im Ohr: «Werft sie ins Meer!»
1967 war die Erleichterung gross, dass Israel die Sache in so kurzer Zeit bereinigt hatte. Jerusalem, das Westjordanland und den Sinai erobert und die Golan-Höhen besetzt, die in unseren Nachrichten als der Ort erschienen, von dem aus israelische Siedlungen beschossen wurden. Israels junge Soldaten waren Helden, sein Militär erregte Bewunderung – die Schuhe im Wüstensand, die man fotografierte hatte, um sie unter dem Titel zu veröffentlichen: «Arabische Soldaten wollten schneller fliehen».
«Wie unfair, David!» – das entsprach unserem Empfinden. Sympathie für den Kleinen, der sich geschickt und mutig gewehrt hatte. «Pardon, wir haben gewonnen!» – das kam arrogant daher, prahlerisch und liess nichts Gutes ahnen. 1973, im Jom-Kippur-Krieg, wurde Israel von den arabischen Armeen überrascht und konnte den Kriegsverlauf erst nach verlustreichen Tagen wenden. Wieder machte man sich Sorgen um Israel.
Dann änderte die Wahrnehmung. Israel hatte sich verändert. Begonnen hatte diese Änderung schon 1967. Der Ausgang des Sechstagekrieges wurde nicht nur bei uns als «Wunder» empfunden. In Israel nahm man den Begriff aber – im Gegensatz zu uns – wörtlich. Nämlich als Zeichen, denn es machte die Idee eines israelischen Staates mit Territorium auf einmal auch für streng religiöse Kreise attraktiv, die sich vorher dagegen gewehrt hatten. Sie konnten mit dem Ergebnis der UNO-Teilung Palästinas von 1948 nichts anfangen, denn dieser Staat hatte nicht viel gemein mit dem von Gott verheissenen biblischen Erez Israel. Jetzt mit den besetzten Gebieten sah es schon besser aus.
Die nationalreligiösen Bewegungen bekamen Aufwind und drängten in die Politik. Das veränderte den israelischen Staat. Auf einmal war er kein säkulares Gebilde mehr, dessen Bürger nicht nach ethnischer Herkunft oder Religion gefragt wurden, sondern ein jüdisches Projekt. Und so veränderte sich auch seine Politik: Das eroberte Land gehörte zu Erez Israel, eine Rückgabe kam nicht in Frage. Und die Siedlungspolitik sollte dafür Tatsachen schaffen.
Das veränderte auch die Wahrnehmung bei uns. Schleichend, bewusst oder unbewusst: Aus einem wehrhaften Kleinstaat, der für die eigene Sicherheit sein Territorium arrondierte, wurde Israel zu einem kolonial-imperalistischen Staat. Israel verlor seinen Moral-Bonus.
Jetzt kamen auf einmal moralische Argumente in die Debatte. Von: Ist es völkerrechtlich korrekt, was Israel macht? bis zu: Ist es gerecht, was Israel macht? war ein kleiner Schritt. Dazu kam, dass der Israel-Palästina-Konflikt geopolitisch instrumentalisiert wurde. Die Palästinenser wurden ebenso Spielmaterial im Konflikt der USA und ihrer Verbündeten mit dem Iran wie der Libanon. Und die israelische Zivilgesellschaft natürlich auch.
Die Hamas schiesst mit Raketen aus dem Iran. Und Israel schickt die Luftwaffe. Leiden tut auf beiden Seiten die Bevölkerung. Die Argumente sind immer ähnlich: Kein Staat wird hinnehmen, dass seine Bürger beschossen werden. Und: Klar, darf sich Israel zur Wehr setzen. Ebenso klar ist, wer dieses Mal angefangen hat. Wer sich mit Konflikten auskennt, weiss zwar, dass es keine Rolle spielt, wer angefangen hat. (Das gilt übrigens auch für den Pausenplatz.) Aber in der Debatte geht das unter.
Wo Gerechtigkeitserwägungen im Spiel sind, ist moralische Empörung leicht mobilisierbar. Und weil man ahnt, welche Gründe hinter der israelischen Politik stehen, schwappt die Empörung auch leicht über. Obwohl der ursprüngliche Zionismus klar säkular war, wird Kritik an der israelischen Politik Antizionismus unterstellt: Dem Staat Israel würde die Daseinsberechtigung abgesprochen. Und weil das ja bedeuten würde, dass auch die Bewohner dieses Staates nicht existieren sollten . . .
Von der Linken kann kein Antisemitismus kommen, ist man überzeugt. Die typischen Antisemiten sind doch die Nazis und die Faschisten. Wenn Israel jetzt aber als imperialistisch hingestellt wird, weil es Land beansprucht, das ihm nicht zusteht, und das Motiv dafür stammt aus dem Alten Testament ... antisemitisch? Oder wäre ein klassisches imperialistisches Motiv besser?