Der Mann hat keine Ecken und Kanten, der Mann ist rund, so kugelrund wie sein pausbackiger Kopf. Sigmar Gabriel ist ein massiger Mann: So viel sozialdemokratische Haut hat kein anderer Genosse zu bieten. So viel Physis heisst aber auch: so viel dünne Haut.
Der Mann hat keine Ecken und Kanten, der Mann ist rund, so kugelrund wie sein pausbackiger Kopf. Sigmar Gabriel ist ein massiger Mann: So viel sozialdemokratische Haut hat kein anderer Genosse zu bieten. So viel Physis heisst aber auch: so viel dünne Haut.
Denn Gabriel ist ein sensibler Mensch und einer der wenigen Politiker, die mit normalen Menschen ganz normal reden können. Doch normal ist nichts vor einem entscheidenden Wahljahr. Und darum hat Gabriel jetzt fast nur die Macht im Kopf, an die er die SPD im nächsten Jahr bringen will. Aber mit welcher Strategie? Gabriel hat nicht unbedingt den Ruf, besonders nachdenklich zu sein. Sätze von ihm, an die man sich erinnern müsste, gibt es nicht viele. Dafür viel und viel zu schnell Gesagtes, was oft unpräzise ist.
Gabriel doziert gern, er ist studierter Pädagoge. Er müsste also wissen, wie das Publikum von Botschaften zu überzeugen ist. Doch seine Umfragewerte bei der Wählerschaft sind miserabel. Zu flapsig ist sein Auftritt, und auch sein spöttisches Lächeln kommt nicht gut an. Dafür beherrscht er den Zweihänder. Der 52jährige Vollblutpolitiker teilt auch unter der Gürtellinie aus, wie beiläufig. So, wie in diesen Tagen: «Wir reden hier über organisierte Kriminalität in Schweizer Banken in Deutschland», sagte Gabriel im Steuerstreit. Oberflächlich gelesen ist ihm dabei ein grammatikalischer Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. So ist es aber nicht: «In Schweizer Banken … in Deutschland» wollte der schlaue SPD-Boss genau so gesagt haben. Denn sein Vorwurf, die Schweizer Banken betrieben «bandenmässig» Steuerhinterziehung, kann sich nur auf jene Schweizer Bankmitarbeiter beziehen, die in Deutschland arbeiten.
Das Beispiel verweist auf drei seiner Fähigkeiten: Gabriel ist ein Fuchs, er ist unverfroren, und er versteht es glänzend, politische Feuer zu entfachen. Im Steuerstreit bläst Gabriel in eine Glut, die möglichst bis ins Wahljahr bei der Regierung Merkel für hitzige Köpfe sorgen soll. Mit dem Steuerabkommen kann sich die SPD ihr ureigenstes Thema (von der Linken) zurückerobern: das Thema Gerechtigkeit.
Nach jahrelangem Stillstand hat Gabriel nach der Unterzeichnung des Steuerabkommens blitzschnell erkannt, dass dies ein nachhaltiger Weckruf für die verschlafene Partei sein könnte. Also hat sich der zähe Gabriel festgebissen. Nicht wie eine Bulldogge (die sind gutmütiger), sondern wie ein Terrier. So unsympathisch Gabriel vor laufenden Kameras auch rüberkommt, so wichtig bleibt seine Rolle in der Partei als Nahkämpfer. Gabriel sucht den Clinch, den Schlagabtausch, und überlässt klugerweise staatstragende Einlassungen seinem Parteifreund Steinmeier, intelligent wirkende Sätze Steinbrück. Gabriel aber ist kein Politiker hoch zu Ross, sondern einer, der wuselt und wühlt und trotzdem kein unbesonnener Hauer und Stecher ist. Wenn er auf etwas gestossen ist – auf Gold, oder die Schweizer Banken, dann hält er daran fest. Gabriel ist ein Politiker mit Stehvermögen. Seit 2009 ist er nun schon SPD-Vorsitzender – eine schier unglaublich lange Zeit also in der organisierten Sozialdemokratie. Und im übrigen hat er abgenommen, im Vaterschaftsurlaub. Er geniesst ihn. Gabriel kostet das Leben aus wie die Politik. Das ist seine grosse Stärke.
Fritz Dinkelmann