Die Schweiz bekommt es mit einer politisch unerfahrenen Aussenministerin zu tun. Bern wird versuchen, auf einen Neuanfang der zuletzt abgekühlten Beziehungen zu Berlin zu setzen. Im Europa-Dossier allerdings ist keine grüne Hilfe zu erwarten.
Wenn Annalena Baerbocck am 15. Dezember ihren 41. Geburtstag feiert, ist sie vermutlich bereits als neue deutsche Aussenministerin im Kabinett von Olaf Scholz (SPD) vereidigt. Für die Schweiz bedeutet der Wechsel im deutschen Aussenministerium die Chance auf einen Neuanfang. Die Beziehungen zwischen dem Genossen Heiko Maas, nun abtretender Aussenminister, und dem Schweizer Amtskollegen Ignazio Cassis galt als nicht besonders warmherzig. Der 55-jährige Sozialdemokrat in Berlin und der 60-jährige FDP-Politiker in Bern trafen sich in der Amtsperiode der beiden höchst selten. Das ist ungewöhnlich für die beiden Nachbarstaaten. Die Chemie zwischen Cassis und Maas habe nicht gestimmt, hört man von Insidern.
Wie der Neustart mit der ersten Aussenministerin in der Geschichte Deutschlands aussehen soll, ist allerdings unklar. Das Vertrauen zwischen der Schweiz und der EU hat nach dem Scheitern des Rahmenabkommens schwer gelitten. Baerbock hat keinerlei Erfahrung als Exekutivpolitikerin, die Völkerrechtlerin war bislang einfache Abgeordnete. Zudem verfügt die aus Niedersachsen stammende Völkerrechtlerin über keinen persönlichen Bezug zur Schweiz. Allerdings lobte die Grüne das Engagement der Schweiz beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Schienennetzes. Möglicherweise ergeben sich hier erste Anknüpfungspunkte zwischen Bern und Berlin.
Allerdings: Beim festgefahrenen Europa-Dossier und der offenen Frage rund um die Teilnahme der Eidgenossenschaft am EU-Forschungsprogramms darf sich die Schweiz keine allzu grossen Hoffnungen machen. Die Grünen verteidigen die europäischen Prinzipien mit allen Mitteln. Dass die deutsche Seite sich ködern lässt durch höhere Schweizer Kohäsionszahlungen, um im Gegenzug Zugeständnisse der EU zu erhalten, ist wenig wahrscheinlich. Zumal Baerbock keine Aussenpolitik betreiben kann, die nicht nach dem Gusto von Kanzler Olaf Scholz ist.
Der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul Seger, sagte schon kurz vor den Bundestagswahlen gegenüber CH Media:
«Mit einer SPD-geführten Regierung würde das Thema Europa wohl noch etwas straffer behandelt als mit einer CDU-geführten Regierung.»
Wenig Zuversicht äussert auch Tim Guldimann. Der Sozialdemokrat war von 2010 bis 2015 Schweizer Botschafter in Berli. Noch heute wohnt der 71-Jährige in der deutschen Hauptstadt. Er sagt:
«Die neue deutsche Regierung wird noch deutlicher europäisch handeln als die bisherige von Angela Merkel.»
Annalena Baerbock verteidige europäische Prinzipien «und hat als Brandenburgerin keinen persönlichen Bezug zur Schweiz», sagt Guldimann. Die Schweiz habe das Rahmenabkommen an die Wand gefahren, ohne einen Plan B zu präsentieren.
«Solange wir selbst nicht wissen, was wir wollen, kann uns niemand helfen.»
Guldimann erwartet von der neuen deutschen Aussenministerin keine Initiative, um das schweizerisch-europäischen Verhältnis zu beleben. Vielsagend fügt er hinzu: «Brüssel beharrt in Verträgen sehr streng auf die juristischen Prinzipien der Union, auch der Schweiz gegenüber. Wie diese Verträge dann von den Mitgliedstaaten eingehalten werden, ist eine andere Frage.»