amnestie
Ein Weihnachtsgeschenk für Äthiopien? Die Regierung lässt politische Gefangene frei und signalisiert Dialogbereitschaft

Ein überraschender Regierungsentscheid vom Wochenende lässt in dem orthodoxen afrikanischen Land Hoffnung aufkommen. Zudem stellt der Ministerpräsident Gespräche mit den Rebellen in Aussicht.

Markus Schönherr
Drucken
Vertriebene Frauen in einem Aufnahmezentrum für Geflüchtete in der nordäthiopischen Region Tigray.

Vertriebene Frauen in einem Aufnahmezentrum für Geflüchtete in der nordäthiopischen Region Tigray.

Keystone

«Wissen sie überhaupt, dass Weihnachten ist?», twitterte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Ghebreyesus, am Wochenende anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests in Äthiopien. Die Zustände in seiner Heimatprovinz sind weiter verheerend: Millionen sind hungrig und auf der Flucht. Und es wird weitergekämpft. Derweil zeichnet sich in Addis Abeba, der Hauptstadt des ostafrikanischen Landes, ein anderes Bild ab. Dort liess die Regierung anlässlich des Festtags überraschend politische Gefangene frei.

«Wir brauchen zu diesem Zeitpunkt nationale Versöhnung, damit die Missstände ein Ende finden, die unser Land nach den Angriffen auf die Armee befallen haben,» zitiert die Zeitung «Addis Standard» Äthiopiens Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. Der Friedensnobelpreisträger von 2019 sorgte in den letzten eineinhalb Jahren weltweit durch Kriegsrhetorik für Schlagzeilen. Mit Aufrufen etwa, seine Feinde wie «Geschwüre» und «Unkraut» auszurotten. Umso überraschender kamen Abiys versöhnliche Töne, die die Weihnachtsamnestie am Wochenende begleiteten.

Unter den Freigelassenen befinden sich unter anderem der regimekritische Journalist Eskinder Nega und der oppositionelle Medienunternehmer Jawar Mohammed. Auch Anführer der in Äthiopien als Terrorgruppe eingestuften Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) sollen von der frühzeitigen Haftentlassung profitiert haben. Darüber hinaus kündigte Abiy einen Dialog an. Seine Regierung bezeichnete Gespräche mit politischen Gegnern am Freitag als «Schlüssel zu anhaltender Einheit».

Vereinte Nationen sichern Unterstützung zu

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres begrüsste den Vorstoss. «Ich bitte die Beteiligten, auf diesem entscheidenden vertrauensbildenden Schritt aufzubauen, indem sie einem anhaltenden Waffenstillstand zustimmen und einen glaubwürdigen, inklusiven nationalen Dialog samt Versöhnungsprozess einleiten.» Dafür sicherte der UNO-Chef den Streitparteien seine Unterstützung zu.

Seit über einem Jahr führt Äthiopiens Regierung Krieg gegen die separatistischen Rebellen im Norden. Die UNO wirft beiden Seiten Menschenrechtsverletzungen vor. Nachdem Kämpfer der TPLF etwa 300 Kilometer bis vor die Hauptstadt gedrungen waren, gelang es der Armee zu Jahresende, die Rebellen wieder zu vertreiben. Längst hatte sich der Konflikt da bereits auf andere Landesteile ausgebreitet. Eine Voraussetzung für Gespräche, die Abiy den Rebellen im November gestellt hatte, war die Anerkennung seiner Regierung. Denn die Machthaber von Tigray, die einst jahrelang Äthiopiens Politik dominiert hatten, sprechen Abiy jegliche Legitimität als Regierungschef ab.

Allerdings währte die Euphorie über die Weihnachtsamnestie nicht lange. Wenige Stunden nach der Freilassung der Regierungsgegner beschuldigten Rebellen und Entwicklungshelfer vor Ort die Regierung, ein Camp für Binnenvertriebene angegriffen zu haben. Bei dem Luftschlag sollen 56 Menschen getötet worden sein. Unabhängig bestätigt wurde der Angriff bisher nicht. Fest steht aber: Die Lage ist weiter prekär.