Statt vor Gericht zu erscheinen, hat sich der "Heiler von Bern" am Donnerstag in seiner Wohnung verschanzt. Seit Stunden ist die Polizei mit einem Grossaufgebot vor Ort, die Aktion dauerte auch am späten Abend noch an.
Der Mann ist bewaffnet. Die Polizei hatte ihn im Verlauf des Nachmittags verschiedentlich gesichtet und ist mit ihm in Kontakt getreten. Einmal kam der Angeschuldigte, bewaffnet mit einem Schwert und einem Messer kurz nach draussen, verschwand dann aber wieder im Haus.
Die Polizei habe er bei seinem kurzen Auftauchen nicht angegriffen, sagte Andreas Hofmann, Sprecher der Berner Kantonspolizei an einem Point de Presse vor Ort. Das Gebiet um das Wohnhaus des Mannes ist seit Stunden weiträumig abgesperrt.
Der Polizeieinsatz gab im betroffenen Stöckackerquartier natürlich zu reden. Den ganzen Tag und Abend standen Bewohner, Schaulustige und Medienschaffende in Grüppchen vor den Polizeischranken.
Die Berner Justiz ist ursprünglich nicht 16, sondern sogar 21 Fällen von sehr ähnlichen HIV-Infizierungen nachgegangen. Daran erinnerte Staatsanwalt Hermann Fleischhackl in seinem Plädoyer.
Doch vier Opfer stammen aus der Verwandtschaft des "Heilers". Sie haben die Schweiz mittlerweile verlassen und sich weiteren Einvernahmen entzogen.
Bei einem fünften Infizierten - dem Mann, der sich jahrelang vom "Heiler" verseuchtes Blut abzapfen liess - ist bis heute unklar, wie er sich angesteckt hat. Zieht man diese fünf Fälle ab, kommt man auf die 16 Opfer, von denen im laufenden Prozess die Rede ist.
Das alles heisse aber nicht, dass der Verdacht gegen den "Heiler" in den anderen fünf Fällen "beweismässig ausgeräumt" wäre, betonte Fleischhackl.
Ein aussagekräftiges Bild der Lage konnte man sich von dort allerdings nicht wirklich verschaffen. Hin und wieder gab es Bewegung im Polizeiaufgebot, Fahrzeuge fuhren vor und wieder weg, dann war es wieder ruhig. Verschiedene Quartierbewohner verfolgten das Geschehen von ihren Balkonen aus.
Polizeisprecher Michael Fichter sagte kurz vor 23 Uhr, der Einsatz dauere nach wie vor an, die Lage sei ruhig und unverändert, ein Ende des Polizeieinsatzes noch immer nicht absehbar.
"Physisch und psychisch erschöpft"
Der Angeklagte war am Morgen zum zweiten Mal in Folge nicht vor Gericht erschienen. Er leide an einer "akuten psychischen und physischen Erschöpfung", hiess es in einem Mail, das der Verteidiger dem Gericht vorlegte und das von der Ärztin des Mannes stammen soll. Bis Ende Woche könne er dem Prozess nicht beiwohnen.
Damit gab sich das Gericht nicht zufrieden. Es liege kein eigentliches Arztzeugnis vor, stellte Gerichtspräsident Urs Herren fest. Das Gericht wollte "wissen, was Sache ist" und stellte deshalb einen Vorführungsbefehl aus.
Als die Polizei den selbsternannten "Heiler" an seinem Wohnort in Bern abholen wollte, habe dieser sich nicht kooperativ verhalten, sagte ein Polizeisprecher.
Der Mann befand sich bislang auf freiem Fuss. Die bernische Justiz hatte ihm ursprünglich auferlegt, den Kanton nicht zu verlassen und sich jeden Tag persönlich bei der Polizei zu melden. Das Bundesgericht strich aber die meisten Auflagen wegen Unverhältnismässigkeit.
15 Jahre gefordert
Ungeachtet der Polizeiaktion wurde der Prozess gegen den selbsternannten Heiler und Musiklehrer am Regionalgericht Bern-Mittelland am Donnerstagnachmittag fortgesetzt. Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen, 16 Menschen vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. Er bestreitet alle Vorwürfe.
Staatsanwalt Hermann Fleischhackl forderte am Donnerstagnachmittag in seinem rund fünfstündigen Plädoyer die höchstmögliche Freiheitsstrafe von 15 Jahren. "Direkte Beweise" für die Schuld des Angeklagten gebe es zwar nicht, räumte der Staatsanwalt ein.
Die Indizienkette spreche aber eine klare Sprache. Alle Indizien zusammen liessen jeden vernünftigen Zweifel an der Schuld des "Heilers" ausschliessen.
"Taten minutiös vorbereitet"
"Der Beschuldigte hat seine Taten minutiös vorbereitet", betonte Fleischhackl. Dabei sei er skrupellos vorgegangen und habe das Vertrauen seiner Musikschüler und Patienten missbraucht.
Warum der Beschuldigte die Menschen infiziert habe, sei unklar, räumte Fleischhackl ein. Doch für eine Verurteilung müsse einem Täter bekanntlich auch kein Motiv nachgewiesen werden.
Der Prozess wird am Freitagnachmittag mit den ersten Plädoyers von Opferanwälten fortgesetzt. Die Verteidigung ist am kommenden Montag am Zug. Das Urteil wird am nächsten Donnerstag (21.) oder Freitag (22. März) erwartet.