Unterbaselbiet
Immer mehr Einwohner, immer weniger Stimmberechtigte: Wer bestimmt hier noch mit?

Die Zahl der Stimmberechtigten nimmt auch in der Agglomeration Basel stetig ab – gleichzeitig wächst die Bevölkerung. Das wirft die Frage auf, wem das Recht zustehen soll, mitzubestimmen. Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie ordnet ein.

Yann Schlegel
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Die Agglo wächst dank dem Pharma-Motor munter weiter: Blick mit der Drohne von Birsfelden über die Birs, Basel-Breite und Kleinbasel.

Die Agglo wächst dank dem Pharma-Motor munter weiter: Blick mit der Drohne von Birsfelden über die Birs, Basel-Breite und Kleinbasel.

Bild: Benjamin Wieland

Ist Nichtwählen als Gleichgültigkeit zu deuten? Oder als Votum der Zufriedenheit? Es bleibt das Geheimnis jener, die ihr Couvert nicht einwerfen. Die stille Mehrheit äussert sich gerade bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen nicht. Wie zuletzt bei den Baselbieter Wahlen, als gut 34 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen gingen.

Oder andersrum betrachtet, verzichteten 66 Prozent darauf, ihr demokratisches Recht zu nutzen. Wenn dann noch die ausländische Wohnbevölkerung und die Minderjährigen miteinbezogen würden, repräsentieren die Wählenden noch eine kleine Minderheit.

Nehmen wir als Beispiel Allschwil: 4270 Personen bestimmten am 12. Februar mit, wer den Kanton Baselland über die nächsten vier Jahre regiert. Auf knapp 22'000 Einwohnerinnen und Einwohner in Allschwil gerechnet (Minderjährige eingeschlossen), beteiligten sich bloss 19,5 Prozent an den Wahlen. Der grosse Rest wollte nicht. Oder durfte nicht.

In der Agglomeration bestimmt bald die Minderheit

Wie eine Auswertung der bz zeigt, ist die effektive Wohnbevölkerung an der Urne zunehmend weniger repräsentiert. Das Phänomen zeigt sich vor allem im Agglomerationsgürtel von Basel, in den stark gewachsenen Unterbaselbieter Gemeinden. Während die Bevölkerung durch Zuwanderung zunimmt, sinkt die Zahl der Stimmberechtigten. Waren in Allschwil 2005 noch über 70 Prozent stimmberechtigt, sind es heute rund zehn Prozent weniger. Die Zahl der Einbürgerungen ist im Vergleich zur Zuwanderung tief.

Noch ausgeprägter ist die Situation im Kanton Basel-Stadt, wo bald die Minderheit bestimmt, wenn die Auslandschweizer nicht mitgezählt werden. Mehrere Anläufe, das Wahl- und Stimmrecht für Ausländer einzuführen, scheiterten – so zuletzt auch eine Volksinitiative 2010. Politische Bestrebungen, dies für Basel-Stadt zu erreichen, reissen nicht ab.

In dieser Frage tut sich ein Röstigraben auf. Alle französischsprachigen Kantone kennen auf kommunaler Ebene nach bestimmten Kriterien das Wahl- und Abstimmungsrecht für die ausländische Bevölkerung. Jura und Neuenburg gar auf kantonaler Stufe. «In der Deutschschweiz hat dieses Anliegen im Moment keine Chance», sagt Uwe Serdült, Experte für Demokratiequalität am Zentrum für Demokratie in Aarau.

Es gäbe den Ansatz: Wer Steuern bezahlt, der dürfe nach dem Gebot der Gerechtigkeit zumindest nach ein paar Jahren auch lokal das Stimmrecht haben. «Das fände ich nichts als gerecht», sagt Serdült. «Die Erfahrungen in der Westschweiz zeigen, dass es keine grosse Revolution oder einen Umsturz gäbe.» Letztlich bleibt die Frage, wer das Stimmrecht erhält, eine politische Aushandlung zwischen jenen, welche die Entscheidungsmacht haben.

Eine breiter abgestützte Mitbestimmungsmöglichkeit heisse aber nicht, dass die Beteiligung und somit die effektive Repräsentation steige. «Da müssen wir uns keine Illusion machen», sagt der Politologe. In der Westschweiz liege die Stimmbeteiligung unter der ausländischen Bevölkerung durchschnittlich halb so hoch wie bei der schweizerischen.

«Mitschuld» am Desinteresse: Die direkte Demokratie

Die Baselbieter Wahlen stehen mit ihrer tiefen Stimmbeteiligung nicht alleine da. Alle Kantone kämpfen mit dem gleichen Problem. «Wahlen sind weniger wichtig, weil wir eine starke direkte Demokratie haben», sagt Serdült. Alle wichtigen Themen kommen an die Urne, wo das Stimmvolk als letzte Instanz entscheiden kann.

Ein Blick aufs Sorgenbarometer lasse gut erklären, weshalb gerade Kantone mit tiefer Stimmbeteiligung zu kämpfen hätten, erklärt Serdült. «Für viele Sorgen sind die nationalen Behörden zuständig.» Wie beispielsweise die Zuwanderung oder die Altersvorsorge.

Eine gewisse Gleichgültigkeit der stillen Mehrheit habe auch mit dem Mehrparteien-System der Schweiz zu tun, so Uwe Serdült. «Wo alle grösseren Parteien an der Regierungsmacht beteiligt sind, besteht nicht der Drang, viel daran ändern.» Der Politologe beurteilt das Nichtwählen der stillen Mehrheit so: «Es wäre besser, wenn mehr wählen gehen würden. Aber die Abstinenz ist keine Gefahr für die Demokratie.»