«Unser Buttenmost ist gefragt, denn er ist speziell.» Die 85-jährige Irma Vögtli aus Hochwald weiss, wovon sie spricht. Sie, ihre Tochter und ihre Enkelin verkaufen jedes Jahr mehr von ihrem Hagebutten-Mus.
Sie ist voll im Gang, die Buttenmost-Saison. Bei den Familien Ming und Vögtli in Hochwald herrscht Hochbetrieb. Die Maschinen, die im Ökonomiegebäude ohrenbetäubenden Lärm verbreiten, laufen täglich viele Stunden. Man muss laut reden, um verstanden zu werden. «Doch das ist Gewöhnungssache», meint Carmen Ming. Die 33-Jährige ist die Jüngste der drei Generationen, die am Kirchrain Buttenmost produzieren. Mutter Verena Ming und Grossmutter Irma Vögtli ergänzen das Team.
Hagebutten vom Ausland
Die Hagebutten, aus denen Buttenmost gewonnen wird, stammen aus Ostblock-Staaten, Griechenland und aus dem französischen Jura. «Ihren Ursprung kennen wir nicht genau. Die Lieferanten aus den verschiedenen Ländern sind uns unbekannt», sagt Verena Ming und ergänzt: Sie kauften die Hagebutten bei einem hiesigen Früchtehändler, der sie von einem Grossisten in Strassburg besorge.
Irma Vögtli stellt seit über 50 Jahren Buttenmost her. Sie erzählt, dass früher Hagebutten im Schweizer Jura und Wallis geerntet worden seien. Dort wurden später die Hagebutten-Stauden jedoch gerodet, um auf den Weiden mehr Platz fürs Vieh zu bekommen. «Deshalb beziehen wir heute die Hagebutten aus dem Ausland», erklärt die 85-jährige Irma Vögtli, welche die Büroarbeiten erledigt, Telefonate entgegennimmt und die Kunden zu Hause bedient.
Verena Ming stellt fest, dass die Qualität in den letzten Jahren super ist. Sie vermutet, dass die Hagebutten in Strassburg noch fein säuberlich sortiert werden. Die 60-Jährige erinnert sich: «Früher war das Material nicht so rein. Es hatte teils schwarze Hagebutten und Blätter drin.»
Der Drei-Generationen-Betrieb verarbeitet pro Jahr sechs bis sieben Tonnen Hagebutten zu Buttenmost. An Spitzentagen, wenn die Maschinen fast Tag und Nacht laufen, sind es 500 bis 600 Kilogramm. Vor allem der Beginn der Saison, die von Mitte September bis Ende Oktober dauert, ist sehr intensiv.
Die «Hobler» Buttenmost-Produzenten zählen grössere und kleinere Läden sowie Privatpersonen zu ihren Kunden. Ein Grossabnehmer hat sein Domizil gar in Zürich. «Einige Leute holen den Buttenmost bei uns persönlich ab», berichtet Irma Vögtli. Sie, die Tochter und die Enkelin bringen die bestellten Mengen aber auch zu Kunden.
Die Familien Ming und Vögtli sowie eine ihnen verwandte Familie, ebenfalls aus Hochwald, sind schweizweit noch die einzigen Hersteller von Buttenmost. Vor einiger Zeit waren es in der Gemeinde auf dem Dorneckberg noch 10 bis 15 Familien, die in die Dörfer auslieferten und die ganze Region versorgten. Mitte des 19. Jahrhunderts soll eine gewisse «Züri-Marie» den Buttenmost nach Hochwald gebracht haben. Sie war in Herrschaftshäusern angestellt und entdeckte dort die feine Speise. Aus Buttenmost entstehen vornehmlich Konfitüre, aber auch Desserts und Suppen.
Bis 2005 fuhr Irma Vögtli während 42 Jahren mit dem Auto nach Basel. Dort belud sie das Buttenmost-Wägeli mit einem grossen Zuber voll Buttenmost. Mit diesem lief sie die Quartierstrassen ab und füllte den Buttenmost mit einem Halblitermass ab. «Ich hatte immer die gleiche Kundschaft und kannte nicht nur alle Strassen von Basel, sondern auch unsere Kunden mit Namen; es ergaben sich persönliche Beziehungen», schildert die rüstige Rentnerin. Sie schwatze gerne, «wie ein Buch», legt Irma Vögtli nach. Für sie ist der Kundenkontakt das Schönste am Ganzen.
Carmen Ming arbeitet ihre zweite Saison intensiv mit, um die Tradition im Hause weiterzuführen. «Der Buttenmost gehört im Herbst einfach zu meinem Leben. Er ist eine emotionale Sache, weil ich damit aufgewachsen bin», sagt die Heilpädagogin. Sie hat das Glück, mit ihrem Arbeitspensum zu vereinbaren, dass sie in der Buttenmost-Saison vermehrt Zeit hat, in der Familie mitzuhelfen.
Liebe Briefe und Lob
Klar sei, dass das nur so lange möglich sei, wie ihre Mutter und sie das körperlich bewältigen könnten, meint Carmen Ming, die hobbymässig Langstreckenläufe bestreitet. «Wenn es die Situation erfordert, dass ich zeitlich noch mehr investieren muss, müssen wir eine neue Lösung finden», blickt sie in die Zukunft. Aber vorläufig ist Carmen Ming fest entschlossen, die Familientradition fortzusetzen.
Diese Faszination motiviert sie. Buttenmost zu machen sei – im Gegensatz zum Schulbetrieb – eine völlig andere Welt. Je älter sie werde, je grösser sei das Privileg, das zu erleben, schwärmt die 33-Jährige. «Das gibt es nur noch selten, so eng in der Familie zusammen zu arbeiten. Da kann man sich keinen Krach leisten, sonst läuft nichts mehr», betont Carmen Ming. Ihre Mutter ist stolz auf das Produkt. Sie dürfe eine Arbeit verrichten, die von der Kundschaft geschätzt werde. «Ich erhalte liebe Briefe und Lob, dass wir das machen.»
Irma Vögtli weiss, dass sich früher hin und wieder auch Neider bemerkbar gemacht haben. «Die verdienen nur Geld», habe sie zu hören bekommen. Die Frau, nie um ein Wort verlegen, entgegnete: «Kommt zu uns und schaut selber, wie hart wir arbeiten müssen – von früh bis spät.» Seit Irma Vögtli Buttenmost herstellt, ist dieser «in». Es habe keine Durchhänger-Jahre gegeben. Im Gegenteil: Die Nachfrage steigt. «Unser Buttenmost ist gefragt, denn er ist speziell.»