Der geniale Yoji
Was hat einer der besten Köche Italiens in den Meriangärten zu suchen?

Yoji Tokuyoshi gehört zu den besten Köchen Italiens. Seit ein paar Tagen ist Tokuyoshi nun schon in Basel – er kocht in den Meriangärten.

Naomi Gregoris
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Der geniale Yoji
3 Bilder
Das Geschirr stammt von Künstlern.
60 Gäste nahmen an dem Essen teil.

Der geniale Yoji

Kathrin Koschitzki

Es ist 15 Uhr, in vier Stunden kommen die Gäste, jeder hat 275 Franken für seinen Platz bezahlt, Grosses wird erwartet – und der Starkoch ist immer noch nicht zufrieden mit dem Menü. Yoji Tokuyoshi steht in einer improvisierten Küche im grossen Gewächshaus der Meriangärten und beugt sich über das Carpaccio aus entwässerten Wassermelonen. Mit einem kleinen Löffel tröpfelt er aufgeweichte Basilikumsamen darüber. «Non è perfetto», sagt er dabei, mehr zu sich als zu irgendwem anderes, und beugt sich noch weiter herunter. Seit ein paar Tagen ist Tokuyoshi nun schon in Basel und hat ein 6-Gang-Menü zusammengestellt, das er gestern bereits für 60 Gäste gekocht hat – eigentlich könnte er sich jetzt auf das Essen verlassen. Oder? Seine Projektmanagerin schüttelt den Kopf. No way. Wieso? «Because it’s Yoji.»

Küche statt Apotheke

Die Geschichte von Yoji Tokuyoshi erzählt man sich in der Gastroszene wie ein Märchen: Der Japaner, der auszog, um einer der besten Köche Italiens zu werden. Yoji wächst als Drilling in einem Vorort von Osaka auf. Früh weiss er, dass er Koch werden will. Seine Eltern sind von dieser Entscheidung ganz und gar nicht angetan, sie führen eine Apotheke und Yoji hat zu gegebener Zeit das Geschäft zu übernehmen. Aber er sträubt sich, fängt eine Kochlehre an, und wird schliesslich von seinen Eltern rausgeschmissen.

Ein paar Jahre später reist Yoji nach Italien, wo er bei einem Chefkoch anheuern will. Er versucht es in über 40 Restaurants, aber kriegt immer dieselbe Antwort: Non abbiamo bisogno. Wir brauchen niemanden. Am Tag seiner Abreise steht er am Flughafen Malpensa und denkt sich: letzte Chance. Auf einem Zeitungsstand sieht er den «L’Espresso Guide», Italiens Antwort auf den «Michelin Guide», der jedes Jahr die besten italienischen Restaurants auflistet. Er kauft das Heft, klappt «Emilia Romagna» auf und sucht nach dem Restaurant mit der höchsten Wertung der Gegend. So landet der Japaner aus dem Hinterland von Osaka bei einem der besten Köche Italiens: Massimo Bottura.

Bottura leitet in Turin die Osteria Francescana und ist seit der Netflix-Serie «Chefs Table» sogar Hobby-Köchen ein Begriff: Der energische Italiener, der mit seiner experimentellen Küche die pastaknetenden Nonnas empörte, war Protagonist in der ersten Folge. Auch bei Bottura heisst es erst, sie hätten keinen Bedarf. Doch Yoji bleibt hartnäckig und wird doch noch eingestellt.

Nur nicht übertreiben

«Ahhh!» Mittlerweile steht Yoji Tokuyoshi vor in Goji-Beeren-Sud marinierten Tomaten, die er mit einem Blütenhonig-Balsamico abgeschmeckt hat. «Wonderful!» Er klatscht in die Hände. Seine Mitarbeiter grinsen. Die Stimmung ist entspannt, völlig anders als man es sich in der Küche eines Spitzenkoches vorstellt. «Ist ja auch etwas ganz Anderes hier», sagt Yoji, «normalerweise bin ich ganz streng!» Sein Sous-Chef, ein junger Italiener, verdreht sarkastisch die Augen. Nur nicht übertreiben, Yoji.

2014 verlässt Tokuyoshi nach knapp zehn Jahren die Osteria und eröffnet in Milano sein eigenes Restaurant: «Ristorante Tokuyoshi». Hier ist nur der Name japanisch, Tokuyoshi kocht ausschliesslich italienisch. Er nennt sein Konzept «Contaminated Cuisine», eine Verschränkung von japanischer Kultur und italienischer Küche. Es kommt an: Nach nicht einmal einem Jahr im neuen Restaurant wird Yoji Tokuyoshi ein Michelin-Stern verliehen.

Die ersten Gäste nähern sich dem Gewächshaus, viele wollen einen Blick auf den Koch werfen, für den sie extra angereist sind. Sie sei vor kurzem in seinem Restaurant gewesen, erzählt eine Frau in blauem Seidenkleid. So gut habe sie noch nie gegessen. Und das in einem

Foodmekka wie Italien!

Organisiert wird der Abend von «Steinbeisser», einem holländischen Verein, der auf der ganzen Welt Sterneköche mit Künstlern zusammenbringt und experimentelle Abendessen veranstaltet. Das Konzept ist simpel: Gekocht wird immer vegan und mit lokalen Lebensmitteln. Teller und Besteck stammen von internationalen Künstlern und haben oftmals nicht mehr viel Gabel und Messer zu tun. Das gilt auch heute: Ein Herr muss sein Risotto aus fünf Getreidesorten mit Cavolo Nero und Fenchelsamen mit einer Zange essen. Das ist eher unterhaltsam als störend – auch für Tokuyoshi, der hinter einem Melonenbaum steht und seine Gäste beobachtet. Das Essen sei erst vollkommen, wenn es verspeist werde, sinniert er und rennt gleich wieder in die Küche, um kissenförmige Teller mit selbst gemachter Misopaste zu bestreichen.

Yoji sei der durchgeknallteste Chef, mit dem sie je gearbeitet habe, sagt seine Projektmanagerin. «Manchmal kommt er morgens in die Küche und veranstaltet ein Riesenchaos, einfach so. Töpfe überall, alles drunter und drüber.» In dieser aufgeladenen Atmosphäre kämen ihm die besten Ideen. «That’s Yoji» – mehr Künstler als Koch.

Wer Tokuyoshi bei seiner Arbeit zusieht, kann sich das gut vorstellen: Mit konzentriertem Gesicht läuft er durch das Gewächshaus, singt ein paar Töne, streut ein paar Krümel, klopft auf Schultern, während im Nebenraum die Gäste vor Verzückung seufzen. Das alles geschieht so organisch und unangestrengt, dass man das Gefühl hat, Teil einer Symphonie zu sein. Oder, passender: einer blühenden Pflanze, liebevoll gehegt vom genialsten Japaner Italiens.