«Help-Portrait»
Sie dürfen sich beim Fotografen ihr Wunschbild machen lassen

Die Aktion «Help-Portrait» ermöglicht Menschen mit einer Beeinträchtigung, sich kostenlos fotografieren zu lassen. Melanie Muggli und Rolf Weber zeigen uns ihr Foto.

Noemi Lea Landolt
Drucken
Das Paar Melanie Muggli und Rolf Weber hat sich beim Anlass Help-Portrait fotografieren lassen.zvg/Peter Miesch

Das Paar Melanie Muggli und Rolf Weber hat sich beim Anlass Help-Portrait fotografieren lassen.zvg/Peter Miesch

Peter Miesch

Er hat den Arm um sie gelegt und lacht. Sie lächelt. Auf ihren Wangen sind kleine, rote Herzchen aufgemalt. «Weil ich verliebt bin», sagt sie. Sie sagt es bestimmt, aber ohne mich anzuschauen. Ihren Kopf hat sie zur Seite abgedreht. Die grün-weiss gestreifte Bluse mit dem Kragen ist ihre Lieblingsbluse. «Nur für besondere Anlässe.» Er hat sich für das Fotoshooting sogar extra neue Kleider gekauft: ein rotes T-Shirt und eine graue Strickjacke. «Der Bart passt zur Jacke», stellt er fest und lacht. «Du solltest dich wieder einmal rasieren», findet sie. Tatsächlich ist sein Bart etwas struppiger als auf dem Foto. Sie einigen sich, dass er spätestens für das Weihnachtsessen in ein paar Tagen seinen Bart etwas stutzt.

Das Foto von Melanie Muggli und Rolf Weber ist im Rahmen der Aktion Help-Portrait entstanden. Das Beratungszentrum Infocus aus Basel hat dieses kostenlose Fotoshooting für 80 Menschen mit einer kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung organisiert. Die Idee des Help-Portraits kommt ursprünglich aus den USA. Unterdessen findet die Aktion in über 50 Ländern statt – auch in Basel. Das Ziel: Menschen, die selten im Mittelpunkt stehen, sollen die Möglichkeit haben, professionelle Fotos von sich machen zu lassen. Sie sollen sich an diesem Tag besonders, wichtig und einfach schön fühlen.

Er ist ihr Stern

Melanie Muggli und Rolf Weber sind seit elf Jahren ein Paar. «Ich habe ihn an meinem Arbeitsplatz im Wohnwerk gesehen und gedacht, er wäre einer für mich», sagt sie über ihren «Stern». Und er wollte auch? «Ja, sicher!», sagt er und lacht verschmitzt. Er würde sich am liebsten ein zweites Mal mit ihr verloben, damit sie ein Fest machen können. Aber sie findet, einmal reiche: «Ein Fest können wir auch einfach so machen.»

Das Paar teilt sich zwei Zimmer im Wohnhaus Thierstein des Bürgerspitals Basel. Ein Zimmer ist das gemeinsame Schlafzimmer, das andere ihr Wohnzimmer. Peter Ruhnau, Bereichsleiter Wohnen im Bürgerspital Basel, beschreibt das Paar als sehr aktiv, offen und kreativ. Selbstbestimmung sei ihnen sehr wichtig. «Beide haben seit ihrer Geburt eine leichte geistige Behinderung», sagt Peter Ruhnau. Sie seien deshalb in manchen lebenspraktischen Dingen auf Unterstützung angewiesen. «Früher haben sie zu zweit alleine in einer Wohnung gelebt und wurden ambulant und mit Spitex-Unterstützung begleitet», sagt er. Dabei habe sich Melanie Muggli um ihren Freund gekümmert und ihn im Alltag unterstützt.

«Alles war möglich»

Um die beiden im Alltag zu entlasten, kamen sie vor etwa einem Jahr in die teilstationäre Wohngruppe. Sie haben eine Wohngruppe gesucht, in die sie als Paar aufgenommen werden und leben können. Dieser Schritt in eine betreute Wohnform sei für die beiden nicht einfach gewesen, da sie sich gewohnt waren, weitgehend für sich alleine zu sorgen. «Sie befürchteten, ihre autonome Lebensweise aufgeben zu müssen», erklärt Peter Ruhnau. Hier werden sie nun am Morgen und Abend unterstützt, wie sie es brauchen; am Wochenende und nachts schauen sie für sich selber. Im Notfall könnten sie im gleichen Haus Hilfe holen.

Draussen ist es bereits dunkel, als wir am Tisch in der Gemeinschaftsküche des Wohnheims sitzen. Vor uns liegt das Foto. Melanie Muggli und Rolf Weber erinnern sich an den besonderen Tag, an dem es entstanden ist. Es gab Musik, Kaffee, Kuchen und Weihnachtsgutzi. Rolf Weber erzählt von all den Menschen, die sie getroffen haben. Menschen, denen sie im Alltag selten begegnen. Menschen, die wie sie körperlich oder geistig beeinträchtigt sind. Eine Visagistin hat das Paar geschminkt und frisiert. «Alles war möglich», schwärmt sie. «Meine Augenwimpern haben sie schwarz gemacht», sagt er und blickt etwas erstaunt auf das Foto. «Sieht man gar nicht.» – «Doch! Da! Man sieht es!», ruft Melanie Muggli dazwischen und pocht mit dem Zeigefinger auf das Glas des Bilderrahmens. Beide lachen. Rolf Weber ist froh, dass seine Lippen nicht geschminkt wurden.

Fotografiert hat die beiden Peter Miesch. Er ist zum vierten Mal beim Help-Portrait dabei. Normalerweise stehen nicht Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung vor seiner Kamera: «Es ist jedes Jahr wieder eine Herausforderung», sagt er. Vor allem die Kommunikation: «Einige können gar nicht oder nur sehr schlecht sprechen, da muss ich dann etwas herausspüren, was sie sich wünschen oder sie einfach machen lassen.» Die Freude der Fotografierten über die Porträtaufnahmen sei aber immer sehr gross und ansteckend.

«Zwischen ihnen eine grosse Lücke»

An Melanie Muggli und Rolf Weber erinnert sich der Fotograf noch gut. Sie seien zuerst einfach nebeneinander vor die Kamera gestanden: «Zwischen ihnen eine grosse Lücke», sagt Miesch. Er habe ihnen dann gesagt, sie seien doch ein Paar und dürfen das gerne zeigen, wenn sie möchten. «Dann ging es schnell», so Miesch. «Er hat seinen Arm um sie gelegt und seinen Kopf an ihren gelegt. Rausgekommen ist ein schönes Foto.»

Nach dem Fotoshooting durften Melanie Muggli und Rolf Weber ein Bild aussuchen. Es wurde ausgedruckt, gerahmt und steht nun auf dem Nachttisch. Eine Nacht auf ihrem, eine Nacht auf seinem.

Glück und Zusammensein

Melanie Muggli schaut das Bild an. «Mein Herz ist vor Freude stehengeblieben», beschreibt sie den Moment vor der Kamera. Wenn sie das Foto anschaut, komme das Gefühl wieder hoch. Für sie drückt es das Zusammensein aus und dass sie einander gern haben. Es sei ein glückliches Bild. Das findet auch ihr Verlobter: «Das Bild ist schön. Das Leben kann manchmal aber auch traurig sein, zum Beispiel wenn jemand stirbt, den man gerne hat, oder jemand gemein ist.»

Er ist etwas schwer zu verstehen, weil er undeutlich spricht, hadert, etwas Zeit braucht, bis die Worte richtig über die Lippen kommen. Sie spricht schneller und unterbricht ihn ab und zu. Auch jetzt, weil sie nicht über Trauriges sprechen möchte. Stattdessen erzählt sie vom neuen Heidi-Film, den sie unbedingt im Kino schauen möchte, von den Tramfahrten, die sie zusammen unternehmen: «Mit dem 15er-Drämmli bis zum Messeplatz und wieder zurück.» Von den Lachsbrötchen an Silvester und den «Rhy-Pirate», einer Basler Guggenmusik, deren Proben die beiden jeden Donnerstag besuchen. Und natürlich von den Bastelabenden im Wohnheim. Diese organisieren Melanie Muggli und Rolf Weber zusammen mit den Betreuern des Wohnheims für die anderen Bewohner, die auf der stationären Wohngruppe ihr Zuhause haben.

Melanie Muggli schaut noch einmal das Foto an: «Nächstes Mal stecke ich eine Blume ins Haar. Eine schwarze», sagt sie. «Und du trägst eine Krawatte, Rolf.» Sie lacht.