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Basler Fachleute prophezeiten eine Zunahme häuslicher Gewalt wegen Corona. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Schon vor dem Lockdown hatten Fachpersonen davor gewarnt, dass die Mischung aus Homeoffice, Homeschooling und existenziellen Sorgen vermehrt zu häuslichen Konflikten führen könnte. Mittlerweile sind es drei Wochen, seit die Schulen geschlossen haben und die Bevölkerung dazu angehalten ist, das Haus nur wenn nötig zu verlassen. Basler Familien verbringen daher die meiste Zeit in den eigenen vier Wänden.
«Für viele Frauen und Mädchen ist die Gefahr dort am grössten, wo sie eigentlich am sichersten sein sollten: in ihren Häusern.» Mit diesen Worten wandte sich der UNO-Generalsekretär António Guterres am Montag in einem Video an die Öffentlichkeit. In den vergangenen Wochen habe es einen weltweiten Anstieg von Gewalt gegen weibliche Familienmitglieder gegeben. Die bz hat bei Basler Institutionen nachgefragt, wie ihre Erfahrungen nach drei Wochen Lockdown aussehen.
Auf den ersten Blick scheint sich der globale Trend in Basel zu bestätigen: «Ich habe von mehreren Stellen vernommen, dass sie aktuell eine Zunahme an Anfragen und Meldungen verzeichnen», sagt die Leiterin der Fachstelle Häusliche Gewalt, Miko Iso. Dazu gehöre neben verschiedenen Beratungsstellen auch die Kantonspolizei. Wie oft genau die Polizei aus diesem Grund eingeschaltet wurde, ist noch unbekannt: Die Staatsanwaltschaft vermeldete auf Nachfrage, die Zahlen würden erst Ende April veröffentlicht. Eine der Einrichtungen, die laut Iso aktuell mit Anfragen überhäuft wird, ist das Frauenhaus.
«Wir erleben gerade eine sehr intensive Zeit», bestätigt Bettina Bühler, Leiterin des Frauenhauses beider Basel. Die Institution erhalte im Moment zahlreiche Anfragen. Ob das nur die Auswirkung der Coronakrise sei, vermag Bühler nicht zu sagen: «Das kann auch zufällig sein», sagt sie gegenüber der bz. Sollte die Anzahl Anfragen in den kommenden Wochen so hoch bleiben, könne man aber klar von einer Zunahme sprechen.
Obwohl Fachpersonen davon ausgegangen sind, dass die Anzahl Übergriffe auf Familienmitglieder zunehmen würde, war nicht klar, wie sich dies auf die Anzahl Meldungen auswirken würde. Während Frauen, die Opfer von Gewalt werden, anscheinend auch in Coronazeiten Wege finden, um Hilfe zu rufen, sieht die Lage bei Kindern und Jugendlichen anders aus.
Der Amtsleiter der Basler Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Patrick Fassbind sagt: «Die Gefährdungsmeldungen gingen in den vergangenen drei Wochen zurück.» Dies sei zu erwarten gewesen, da die soziale Kontrolle durch die Schule zum Teil wegfalle. «Wir rechnen mit einer Zunahme der Meldungen, sobald die Schulen wieder aufgehen», so Fassbind. Die Behörden versuchen laut dem Kesb-Leiter Familien, in denen es zu Konflikten kommen könnte, auch während der Schulschliessung eng zu begleiten.
Corona beeinflusst nicht nur die Anzahl Übergriffe auf Familienmitglieder. Ein zusätzlicher Faktor, der bei der Unterstützung von Hilfesuchenden beachtet werden muss, ist das Infektionsrisiko. Der Kanton hat laut Miko Iso Notfallpläne, falls am Coronavirus erkrankte Personen Schutz brauchen.
Bettina Bühler vom Frauenhaus sagt zur Situation im Haus: «Aktuell haben wir weder unter den Betroffenen noch unter den Mitarbeiterinnen Personen, die am Virus erkrankt sind.» Die Unterstützung der Frauen während 24 Stunden habe in jedem Fall erste Priorität, so Bühler. Es würden daher keine systematischen Tests durchgeführt. Genauere Zahlen zum Ausmass der häuslichen Gewalt werden sich – unter Vorbehalt der grossen Dunkelziffer – nach Ende der verhängten Massnahmen gewinnen lassen.
Was sich bereits beobachten lässt: Die Sensibilisierung für das Thema scheint vorhanden zu sein. Nicht nur in den Medien und beim UNO-Generalsekretär António Guterres, sondern, laut Miko Iso, auch bei den potenziellen Tätern: «Was mich besonders erstaunt hat, ist, dass wir im Moment eine verhältnismässig grosse Anzahl von potenziellen Gefährdern haben, die sich selbst bei uns melden. Männer, die anrufen und sagen, dass ihnen alles zu viel wird. Das kommt sonst sehr selten vor.»