Unsere kleine Stadt
Das Auto ist auch keine Lösung

Daniel Wiener
Daniel Wiener
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Das Motiv ist klar: Wer allein in der Kiste pendelt, setzt sich keinem Ansteckungsrisiko aus. (Symbolbild)

Das Motiv ist klar: Wer allein in der Kiste pendelt, setzt sich keinem Ansteckungsrisiko aus. (Symbolbild)

Bruno Kissling

Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich unter Stadtentwicklern und Verkehrsplanerinnen breit angesichts des grassierenden Autofimmels zum Ende des Corona-Lockdowns. Während sich Züge, Trams und Busse nur zögerlich füllen, boomen nicht nur Fahrräder und Elektrovelos. Auch der motorisierte Individualverkehr scheint zu profitieren.

Das Motiv ist klar: Wer allein in der Kiste pendelt, setzt sich keinem Ansteckungsrisiko aus. Zwar brachen die Autoverkäufe in der akuten Phase der Pandemie um 80 Prozent ein. Doch nun frohlockt beispielsweise Marcel Guerry, der Geschäftsleiter des Autoimporteurs Emil Frey im Interview mit der «Schweizer Illustrierten»: «Es gibt schon Interessenten, die kein Fahrzeug mehr hatten, aber jetzt nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen eine Occasion kaufen wollen, um mobiler zu sein.» Noch knapper drückt sich sein Chef Walter Frey aus. Er preist den Privatwagen als «mobilen Schutzraum» an.

Ist Corona also die Rettung für den motorisierten Individualverkehr, der sich noch vor wenigen Monaten angesichts der Klimabewegung vom Aussterben bedroht fühlte? Dieses Comeback vereitelt schon allein die Tatsache, dass in einem Tram so viele Menschen Platz haben wie in einer durchschnittlichen Autokolonne von beinahe einem Kilometer Länge. Ein radikales Umsteigen auf «mobile Schutzräume» würde die Strassenkapazität rasch erschöpfen. Und es müssten Zehntausende neue Parkplätze gebaut werden.
Doch gibt es einen viel wichtigeren Grund, der gegen ein virenbedingtes Boliden-Bonanza spricht: Das «Social Distancing» wird dauerhaft die Raumgestaltung prägen. Selbst wenn es irgendwann eine Impfung gegen Covid19 gibt, bleibt die Erfahrung Corona beim Planen und Bauen präsent. Alles andere wäre fahrlässig. Denn Covid19 wird nicht der letzte gefährliche Virus sein, der uns heimsucht.

Auf der Strasse, im öffentlichen Verkehr wie auch am Arbeitsplatz werden wir nach Corona viele Einrichtungen grosszügiger gestalten und zugleich effizienter nutzen: Wir brauchen breitere Trottoirs und Velospuren sowie weniger vollgestopfte, also mehr öffentliche Verkehrsmittel. Nur so wird Abstand halten eine permanente Option. Da der Raum zwischen den Häusern auf lange Sicht eine fixe Grösse bleibt, wird diese Entwicklung auf Kosten des Autos gehen, das am wenigsten flächeneffizient ist.

Der Abbau von Autospuren und oberirdischen Parkfeldern ist Voraussetzung für die «virentaugliche» Organisation von Strassen und Plätzen in Städten und Dörfern. Wenn deutlich mehr Menschen Fahrrad fahren und zu Fuss gehen, wird auch der Druck zunehmen, ihre Wege menschenfreundlich zu gestalten, mithin zu begrünen und im Sommer mit Bäumen zu kühlen. Dies wiederum ermöglicht es noch mehr Menschen, auch über längere Strecken aus eigener Kraft mobil zu sein (und mithin das Fitness-Abo einzusparen).

Das Konstrukt «mobiler Schutzraum» wird deshalb Walter Frey schmerzhaft auf die eigenen Füsse fallen. Auch er wird erkennen müssen, dass die Neuorganisation des öffentlichen Raums nach Corona nicht um eine massive Reduktion des motorisierten Individualverkehrs herumkommt.

Daniel Wiener - Der in Liestal aufgewachsene, in Basel lebende Autor ist Journalist, Kulturmanager, Unternehmer und Berater.