Nähkästchen
Beatrice Stirnimann, Festivalleiterin der Baloise Session: «Die Angst vor einer Absage ist immer da»

Beatrice Stirnimann, CEO der Baloise Session, plaudert aus dem Nähkästchen. Über Discos im Schullager, Selbstzweifel und den Tod.

Mélanie Honegger
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Eine Karriere war nie ihr Ziel: Beatrice Stirnimann in ihrem Büro im Kleinbasel.

Eine Karriere war nie ihr Ziel: Beatrice Stirnimann in ihrem Büro im Kleinbasel.

Nicole Nars-Zimmer (niz)

Worüber sprechen wir?

Beatrice Stirnimann: Über meine Karriere. Oje. Ich hatte doch gar nie ein Ziel, wo ich hinwill. Das hat sich einfach ergeben.

Wie denn?

Ursprünglich habe ich aus Freude an der Musik angefangen. Ich bin immer gerne an Konzerte gegangen. Es ist faszinierend, was das Leben so mit einem machen kann. Ich hatte zuvor zwei verschiedene Lehren gemacht, im Gastgewerbe und im kaufmännischen Bereich. Später hatte ich Jobs im Detailhandel, in einer Reise- und Eventagentur, im Product Management, im Marketing und sogar als Key-Account Managerin in einer Tierfutter Firma. Schliesslich habe ich Betriebswirtschaft studiert und ein Nachdiplomstudium in Kommunikation gemacht, weil ich Lust hatte, mein Hirn etwas zu fördern. Und jetzt habe ich das Privileg, ein Musikfestival zu organisieren.

Waren Sie rastlos?

Ja. Ich musste mich früher oft für meine vielen Jobwechsel erklären. Aber irgendwie hatte ich immer das Gefühl, was anderes ausprobieren zu müssen. Und ich hatte so auch immer wieder die Möglichkeit, zu reisen. Jetzt bin ich angekommen und will nicht mehr weg. Es war mir in diesem Beruf noch nicht eine Sekunde langweilig.

Und wie haben Sie zur Baloise Session gefunden?

Ich hatte viel Glück. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und auch die richtigen Leute treffen. Mit dem damaligen Leiter Matthias Müller hatte ich jemanden, der Lust hatte, mit mir zusammenzuarbeiten. Leider ist er vor drei Jahren verstorben. Manchmal hat das Leben seine eigenen Pläne. Dass mich Matthias damals so aufgenommen hat, war natürlich toll. Ich hatte schon als Kind angefangen, mir zuhause am Kassettenrekorder Tapes aufzunehmen.

Was haben Sie aufgenommen auf diesen Mixtapes?

Alles Mögliche. Songs aus der Hitparade, vom Radio, am Samstagabend kam Discomusik. Ich bin aber sicher im Hard Rock zuhause. Diese Phase kommt immer wieder. Entstanden ist die Liebe zum Hard Rock während der Schulzeit. Da habe ich alles gehört, Ten Years After, AC/DC. Bei AC/DC kann ich mich noch erinnern, die habe ich in einem Schullager entdeckt. Die Älteren veranstalteten eine Disco und wir Kleinen durften zuhören. Dort lief ständig T.N.T., das frisst sich dann so rein.

Haben Sie durch Ihre Karriere etwas verpasst?

Nein, ich denke nicht. Das Leben hat mir viel geschenkt. Was wir hier machen, so ein Festival organisieren, das ist wie ein Traum. Man muss zwar viel dafür arbeiten, aber ich erlebe so schöne Momente, dass ich erfüllt rausgehe. Es ist pures Adrenalin. Man will alles zu 100 Prozent erleben.

Aber Adrenalin wird auch bei Stress ausgeschüttet.

Ja klar, vor und während des Festivals habe ich auch eine stressige Zeit. Es kann viel passieren, ein Künstler kann krank werden, es kann Probleme bei den Vertragsverhandlungen geben. Man ist Tag und Nacht im Alarmmodus. Ein Künstler, der nicht auftritt, ist eine Katastrophe. Wäre Herbert Grönemeyer nicht gekommen, wäre das die grösste Katastrophe gewesen. Man kann einen Herbert Grönemeyer einfach nicht ersetzen. Diese Angst ist immer da. Das braucht viel Kraft.

Welchen Moment möchten Sie nicht mehr erleben?

Es gibt manchmal Enttäuschungen. Schwierig ist es, wenn jemand auftritt, von dem ich ein sehr grosser Fan bin. Es kann sein, dass diese Person einen schlechten Tag hat und der ganze Tag zum Chaos wird. Dann schlägt man hart auf dem Boden der Realität auf. Ein-, zweimal ist mir das passiert. Es gibt zwei Künstler, deren Musik habe ich seither nie mehr gehört. Ich stelle auch das Radio aus, wenn ihre Musik kommt.

Wer war das?

Das sage ich nicht (lacht).

Was ist denn vorgefallen?

Wahrscheinlich hatten sie einen schlechten Tag und verbreiteten deshalb schlechte Stimmung. Ich habe das vielleicht zu persönlich genommen. Was ich auch nicht mehr erleben möchte, ist jemanden zu begleiten, der sehr krank ist. Mit dem man so lange zusammengearbeitet hat wie ich mit Matthias. Es ist schmerzvoll, wenn man weiss, dass diese Person sterben wird. Ich vermisse Matthias immer wieder.

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert seit seinem Tod?

Sehr fest, schon während seiner Krankheit. Wir konnten uns jahrelang blind vertrauen, konnten füreinander einspringen. Wenn ein so enger Kollege und Freund plötzlich weg ist, dann gibt es auf einmal doppelt so viel Arbeit. Es gab eine Leere. Aber die Welt dreht sich unaufhaltsam weiter. Ich durfte bleiben und will und darf das Leben und das Musikfestival geniessen und weiterführen.

Sie unterstützen mit dem Verein «Amie» junge Mütter beim Berufseinstieg. Gibt es Momente, die Ihnen als Frau zu schaffen machen?

Ich habe selbst keine Kinder. Manchmal ist man als Frau ohne Kinder auch jemand, auf den man zeigt. Dann hört man andere reden. Aber niemand weiss, warum jemand keine Kinder hat. Das sind Vorurteile, die nicht schön sind.

Und im Beruf?

Es gibt in der Schweiz kaum Veranstalterinnen. Frauen stellen ihr Licht selbst immer etwas mehr unter den Scheffel, als sie müssen. Ich merke auch bei mir immer wieder, dass ich mich frage: Kann ich das? Anstatt zu sagen: Ich kann das.

Hat sich das im Laufe der Zeit nicht verändert? Sie sind doch an der Spitze angelangt.

Ich hinterfrage mich trotzdem immer wieder. Es gibt Momente, in denen reflektiere ich Gespräche und denke, ach, hätte ich doch das oder jenes gesagt. Weil man in diesem Moment vielleicht zu zurückhaltend war. Klar, ich habe mehr Vertrauen in mein Knowhow. Aber ich bin in gewissen Momenten immer wieder nervös, auch in Verhandlungen mit Künstlern. Ein bisschen mehr Selbstvertrauen könnte manchmal nicht schaden.

Wie wollen Sie das schaffen?

Ich versuche, auf mich selbst zu hören. Wenn man zu viel auf andere hört, weiss man selbst gar nicht mehr genau, welchen Weg man gehen will. Es ist wichtig, dass man mit sich selbst zufrieden ist. Das versuche ich zu verfolgen, deswegen auch die vielen früheren Jobwechsel. Ich wollte und will nicht unglücklich sein im Leben. Das habe ich geschafft. Heute bin ich glücklich.