Ausstellung
Bilderrätsel auf Kunstleder in der Kunsthalle

Expressive Bewegung, vieldeutiger Sinn: Die Kunsthalle Basel zeigt Gemälde der deutschen Künstlerin Michaela Eichwald.

Christoph Dieffenbacher
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Michaela Eichwalds «Panzerwiese Hartelholz» (2020) erstreckt sich in der Kunsthalle Basel auf über vier Meter Breite.

Michaela Eichwalds «Panzerwiese Hartelholz» (2020) erstreckt sich in der Kunsthalle Basel auf über vier Meter Breite.

Nicolas Gysin / Kunsthalle Basel

Eine schwarze Schwade zieht sich wie eine Rauchfahne hin. Dazwischen reihen sich mit Linien verbundene rotorange Zeichen aneinander. Auf grösseren Flächen sind auf warmem Gelb einzelne Finger und ein Gesicht mit geschlossenem Auge zu erkennen. Da ist ein winzig kleines Fenster, dort scheinen helle Punkte und Linien in die Ferne zu schweben. Die Formen und Farben des Bilds hat die Künstlerin mit grosszügig expressivem Gestus auf Kunstleder aufgetragen – mit Hilfe von Acryl, Lack, Schellacktusche und Metallicstift.

Das Gemälde mit dem Titel «Heute Journal» (2020) hängt derzeit in der Kunsthalle Basel, die erstmals in der Schweiz Arbeiten von Michaela Eichwald vorstellt. Das Bild lässt nicht nur einzelne Umrisse rätselhaft erscheinen, sondern erlaubt als Ganzes auch verschiedene Deutungen. Weist es auf die tägliche TV-Informationsflut in Zeiten der Pandemie hin oder auf eine noch unbekannte Katastrophe? Ähnlich bedrohliche Eindrücke löst das über vier Meter breite Werk «Panzerwiese Hartelholz» (2020) aus, dessen Zweidimensionalität durch die flirrenden Effekte der Farbperspektive nahezu aufgehoben wird.

Anfänge in der Kölner Popkunst-Szene

Das Austesten und Ausprobieren, die Suche nach dem Neuem, das freie Spiel und der Einsatz von ungewöhnlichen Materialien – all das ist typisch für die Arbeit der deutschen Künstlerin. Sie hat eher spät zur bildenden Kunst gefunden. 1967 in Gummersbach geboren, zog sie nach Köln, wo sie Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik studierte und sich in der Kunstszene bewegte, ohne eigentliche Ausbildung zur Malerin. Die Stadt galt, nicht zuletzt durch die avantgardistischen Zeitschriften «Texte zur Kunst» und «Spex», damals für einige Jahre als Hotspot der Popkunst.

In der Kunsthalle werden zum ersten Mal in der Schweiz die Werke von Eichwald gezeigt.

In der Kunsthalle werden zum ersten Mal in der Schweiz die Werke von Eichwald gezeigt.

Nicolas Gysin / Kunsthalle Basel

Eichwald suchte sich in Köln eigene Wege zum persönlichen Ausdruck und wechselte zwischen den Disziplinen hin und her. Am Anfang stand bei ihr die Sprache: Sie schrieb zunächst Texte und Lyrik, fotografierte daneben und machte Filme. Nachdem sie sich mit 30 entschied, Künstlerin zu werden, dauerte es noch lange bis zur ersten Ausstellung. Seit 2008 lebt sie in Berlin, wo sie im Stadtteil Wedding in einem Parterre-Atelier als Malerin und Bildhauerin arbeitet. Neben Ausstellungen in internationalen Galerien ist sie inzwischen in den sozialen Medien aktiv und betreibt seit 15 Jahren ihren eigenen Blog.

Materialien aus Plastik und Kunststoffgewebe

Die Werke nehmen wenig Rücksicht auf formale oder inhaltliche Konventionen, obwohl sie vom klassischen Gemälde ausgehen. Sie bewegen sich zwischen Abstraktem und Figurativem: Was wie eine zerfliessende Form aussieht, könnte ebenso gut ein offenes Gedärm oder eine Qualle sein. Bei ihr finde dauernd ein «Kampf zwischen Formen und Materialien» statt, sagt die Künstlerin. Auch Sprühfarbe, Kunstblut, Holzbeize und Aufkleber trägt sie auf Plastik und industriellem Kunststoffgewebe auf, wie es etwa im Innern von Autos verwendet wird: Das Material, wie es in grossen Rollen kauft, ist zudem meist mit eigenen Mustern und Perforierungen versehen.

Vieles wird von der Künstlerin immer wieder übermalt und verändert, anderes entsteht eher rasch. So nimmt sich Eichwald auch einmal die Freiheit für Experimente und spontane Einfälle, indem sie frech ein drolliges Schweinchen oder einen Tintenfisch auf den Untergrund malt. Dann hat sie zu entscheiden, wann das Bild für sie abgeschlossen ist. Und beim Betrachten mag sich das Gefühl einstellen, dass die Künstlerin jederzeit hinzukommen könnte, um da eine Stelle wieder zu übermalen oder dort noch etwas hinzuzufügen.

«Jedes Bild ist eine neue Verhandlung»

Manchmal seien ihre Bilder klüger als sie selbst, sagt Eichwald selbstironisch. Ihre meist humorvollen bis poetischen Titel legt sie oft im Nachhinein fest. Dabei bedient sich bei Zitaten aus Philosophie, Theologie wie aus der Alltagssprache. Sie verdeutlicht oder verfremdet dadurch die bildnerischen Formen und stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Als sie einmal Titel gleich für mehrere Arbeiten finden musste, liess sich die Künstlerin von jenem Münchner Hotel inspirieren, in dem sie übernachtete: «CityHome 2000 Titelgenerator», heisst eines der Werke.

Eichwalds Werke nehmen wenig Rücksicht auf formale oder inhaltliche Konventionen.

Eichwalds Werke nehmen wenig Rücksicht auf formale oder inhaltliche Konventionen.

Nicolas Gysin / Kunsthalle Basel

«Ihre Bilder bewegen sich dauernd und zwingen einen zur Bewegung – jedes einzelne ist eine neue Verhandlung mit den Betrachtenden», erläutert Kunsthalle-Ausstellungsleiterin Renate Wagner. Manchmal habe Eichwald noch während der Hängung an einem Werk weitergearbeitet. Die Einrichtung der Ausstellung sei ein eigener künstlerischer Prozess gewesen. Sogar die gepolsterten Sofas und Sessel in den Räumen hat die Künstlerin in Basler Brockenhäusern selbst ausgewählt – als Gegensatz zu ihren lebendigen, dynamischen Bildern vermitteln die Sitzmöbel einen Hauch von behaglicher Bürgerlichkeit.

«Michaela Eichwald – Auf das Ganze achten und gegen die Tatsachen existieren.» Kunsthalle Basel, bis 23. Januar 2022.
Geöffnet Di bis So, 11 bis 17/18 Uhr, Do bis 20.30 Uhr.
Infos und Begleitprogramm: www.kunsthallebasel.ch.