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Rolf Keller nimmt Stellung zum Unmut der Aargauer Musikerinnen und Musiker, zu verpassten Chancen und zu neuen Vorwürfen. Ist gegen das Kulturgesetz verstossen und die Unabhängigkeit des Kuratoriums verletzt worden?
Das Aargauer Kuratorium ist personell im Umbruch. Sie haben Ihren Rücktritt angekündigt. Was wünschen Sie dem Gremium?
«Wir alle lieben das Kuratorium. Eine super Sache. Wir identifizieren uns mit ihm», heisst es im Brief der Aargauer Musiker an den zurückgetretenen Kurator Stephan Diethelm. Das ist bei aller Kritik, die dort auch geäussert wurde, eine bemerkenswerte Aussage. Das wünsche ich dem Kuratorium auch für die Zukunft. Und ich wünsche ihm, dass die Arbeit der Kuratoren besser anerkannt wird. Denn es braucht fähige Leute im Gremium. Sodann: Unser Budget stagniert seit zehn Jahren. Ich wünsche dem Kuratorium eine deutliche Mittelerhöhung, damit es seine Arbeit im gewünschten Rahmen tätigen kann.
Sie haben den Brief der Musikerinnen und Musiker angesprochen. Der Unmut bei Musikern gegenüber Stephan Diethelm war seit vielen Jahren gross und ist immer grösser geworden. Das zeigt dieser Brief. Hatten Sie Kenntnisse von diesem Unmut?
Mir war bewusst, dass Stephan Diethelm hin und wieder aneckt. Wo Gesuche abgelehnt werden, besteht auch Unzufriedenheit. Vom Ausmass des Unmuts war ich aber schon überrascht.
Kuratoriumspräsident Rolf Keller ist 1949 in Schaffhausen geboren. Er studierte Anglistik, Germanistik und Pädagogik an der Universität Zürich, war Co-Präsident der Kulturstiftung Pro Argovia und Studienleiter im Stapferhaus Lenzburg. Anschliessend arbeitete er bei der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, zuerst als Abteilungsleiter Kulturvermittlung, dann als Stellvertretender Direktor.
Ab 2000 baute er den Masterstudiengang Kulturmanagement auf und leitete das Studienzentrum Kulturmanagement der Universität Basel. Seit 2012 war er Präsident des Kuratoriums. Letzte Woche hat er seinen Rücktritt per Ende Jahr angekündigt (siehe Ausschreibung). Keller ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Er wohnt seit 1985 in Aarau. (sku)
Das Jubiläum 50 Jahre Kuratorium wäre eine gute Gelegenheit gewesen für einen mutigen Vorstoss. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass dieser Steilpass des Jubiläums verpasst wurde?
Das kann man so sehen, war aber nie unsere Intention. Wir wollten einen Bilderbogen der Geschichte aufzeigen. Keine Zukunftswerkstatt, sondern einen Rückblick.
Das Kuratorium war eine Pioniertat in der Kulturförderung. Verstehen Sie unseren Eindruck, dass das Gremium diese Pionierrolle verloren hat und heute eine defensive Rolle spielt?
Wenn Sie das Parlament fragen, dann verhalten wir uns nicht defensiv. In den letzten 50 Jahren haben sich die Kultur und die Wahrnehmung von Kultur verändert – von der bürgerlichen Hochkultur bis zur kulturellen Teilhabe als aktuelles Postulat. Und damit auch unsere Rolle. Kulturförderung heute kann man nicht vergleichen mit jener vor 50 Jahren. Die Spartengrenzen lösen sich auf. Unser Handlungsfeld ist heute viel unschärfer, das mag defensiv wirken. Doch das Kuratorium bewegt sich. Was wir eingeführt haben, kann man vielleicht nicht als revolutionär bezeichnen, aber sicher auch nicht als defensiv.
Doppelrollen sind unvermeidlich, denn wir brauchen den künstlerischen Sachverstand, um seriöse Qualitätsurteile zu fällen.
Das Kuratorium wird immer stärker marginalisiert. Kulturförderung wird an den Swisslos Fonds ausgelagert. Was unternehmen Sie dagegen?
Wenn das stimmt, dann auf der finanziellen Seite. Das Kulturleben ist gewachsen und damit die Ansprüche. Wir konnten mit diesen nicht Schritt halten und waren gezwungen, einige unserer Kulturperlen an den Swisslos Fonds auszugliedern. Wir versuchen immer wieder, aufzuzeigen, welch essenzielle Rolle Kunst und Kultur für die Menschen und den Zusammenhalt im vielgestaltigen Aargau spielen.
«Es riecht nach Vetterli-Wirtschaft», titelte die AZ. Als problematisch hat sich die Doppelrolle von Kuratoren als Empfänger und Geldgeber erwiesen. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?
Der Vorwurf der Vetternwirtschaft ist nicht haltbar. Doppelrollen sind unvermeidlich, denn wir brauchen den künstlerischen Sachverstand, um seriöse Qualitätsurteile zu fällen. Und dieser Sachverstand ist dort vorhanden, wo auch die potenziellen Empfänger sind. Wir haben interne Regelungen, die solche Interessenskonflikte vermeiden.
Die Ausstandsregel genügt unserer Ansicht nach nicht. Kuratoren sollten weder direkt noch indirekt Fördergeld für ihre Projekte erhalten dürfen. Es gibt genügend Beispiele von Kuratoren, die ganz strikt während ihrer Amtszeit nie Gesuche gestellt und nie Geld erhalten haben. Nur eine solche Regelung würde Klarheit schaffen und den Verdacht auf Vetternwirtschaft allemal verhindern. Wir glauben auch, dass es genügend kompetente Leute gibt.
Unsere Erfahrung ist eine andere. Wir haben Mühe, neue Mitglieder zu finden. Nicht zuletzt, weil die Arbeit im Kuratorium so zeitaufwendig ist und so bescheiden entschädigt wird. Aber ich betone nochmals: Kein Kuratoriumsmitglied profitiert heute finanziell von seiner Rolle.
Das sehen wir anders. Sie kennen die Beispiele. Neben Diethelm war es auch Kurator Markus Frey, der als Dirigent für einige Projekte Fördergelder erhalten hat. Und es gibt noch mehr.
Jemand, der künstlerisch tätig ist, wirkt gelegentlich an Projekten mit, die vom Kuratorium unterstützt werden.
Transparenz ist entscheidend, um dem Vorwurf der Vetternwirtschaft zu begegnen. Aber weder der Name Diethelm noch Frey taucht im Jahresbericht auf.
Wir können diese Transparenz durchaus herstellen. Es ist ja kein Geheimnis, dass Diethelm und Frey an den Projekten mitwirken. Aber im Jahresbericht erscheinen generell die Projektnamen – ausser natürlich bei persönlichen Beiträgen.
Jetzt sind wir bei der umstrittenen internen Richtlinie: «Bei Projekten, an denen Kuratoriumsmitglieder in organisatorischer oder künstlerischer Form beteiligt sind, dürfen KuratorInnen das Gesuch nicht selbst einreichen», heisst es in einem Plenums-Protokoll. Diethelm selbst hat in diesem Zusammenhang von Vertuschung gesprochen. Können Sie es nachvollziehen, dass man den Eindruck kriegt, dass die Regelung kaschiert statt Transparenz schafft?
Dieser Satz steht so nicht in den Richtlinien. Aber ich habe Verständnis dafür, dass man hier hellhörig wird und genauer hinschauen will. Wir schauen aber auch selber genau hin, weil uns diese Problematik bewusst ist. Und wir haben klar geregelt, dass ein Mitglied nicht persönlich profitieren darf. Übrigens sind diese Richtlinien inzwischen im Netz einsehbar.
Es geht doch darum, den latenten Verdacht auf Vetternwirtschaft in diesem Spannungsfeld mit klaren Regeln zu minimieren. Wieso denn nicht gleich im Kulturgesetz oder der Verordnung festhalten?
Da kann man grundsätzlich nichts dagegen haben. Der Grundsatz ist jedoch auf höherer Ebene, im Verwaltungsrechtspflegegesetz, geregelt und gilt natürlich auch für uns. Aber man muss auch die Relationen bewahren. Bei 761 Gesuchen letztes Jahr haben sich diese Fragen bei weniger als einem halben Dutzend gestellt. Jetzt hat man den Eindruck, dass das ganze Kuratorium Geld in den eigenen Sack scheffelt. Dieser Eindruck ist verfehlt.
Wenn man von diesem Einzelfall auf das ganze Kuratorium schliesst, ist das unfair – dieses funktioniert ordnungsgemäss.
Es gibt durchaus Ansätze, um den Verdacht zu minimieren. Bei kürzeren Amtszeiten zum Beispiel wäre es für Künstler zumutbar, auf Fördergelder zu verzichten.
Wir sind offen gegenüber Anpassungsvorschlägen und werden alles diskutieren.
Gemäss einem politischen Vorstoss im Grossen Rat hat die Reputation des Kuratoriums Schaden erlitten. Wie wollen Sie sie wieder herstellen?
Da sind wir auch auf Ihre Hilfe angewiesen, weil aus einem Einzelfall ein Pauschalurteil geworden ist. Wir müssen die Relationen sehen. Die 40 000 Franken für «Musig im Pflegidach» sind rund ein halbes Prozent des Gesamtbudgets. Wenn man von diesem Einzelfall auf das ganze Kuratorium schliesst, dann ist das unfair – dieses funktioniert sauber und ordnungsgemäss.
Neue Recherchen haben ergeben, dass eine Person der Geschäftsstelle im letzten Jahr bei Förder-Gesuchen abgestimmt hat. Wir sehen darin einen krassen Verstoss gegen das Kulturgesetz, weil nur gewählte Kuratoren stimmberechtigt sind. Was sagen Sie dazu?
Das Kulturgesetz sagt nichts dazu. Im internen Geschäftsreglement heisst es aber, dass die Fachgruppen externe Fachpersonen beiziehen können. Die betreffende fachkundige Person erhielt im letzten Jahr vom Kuratoriums-Plenum die Kompetenz, in drei oder vier Sitzungen mitzuberaten, aber ohne Stimmrecht. Das ist aus einer Notsituation entstanden, weil die Fachgruppe temporär unterbesetzt war, aber nur mit drei Personen antragsfähig ist.
Die Person hat aber nicht nur beraten, sondern abgestimmt, das haben Recherchen ergeben und kann auch belegt werden. Die Person der Geschäftsstelle ist vom Kanton angestellt. Deshalb wurde hier die hochgehaltene, viel gelobte Unabhängigkeit des Kuratoriums, die strikte Trennung von Staat und Kuratorium, verletzt.
Mit der Unabhängigkeit des Kuratoriums vom Staat hat dies nichts zu tun. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle sind zwar vom Staat bezahlt, aber in ihrer inhaltlichen Arbeit sind sie dem Kuratorium unterstellt. Und nochmals: Ihre Stimme ist in den Antrag ans Plenum eingeflossen, nur dieses entscheidet.
Das ist aus unserer Sicht nicht zulässig. Man wusste ja im Vornherein vom personellen Unterbestand. Weshalb wurde kein stimmberechtigter Kurator beigezogen, wie das sonst üblich ist?
Es gab kein Mitglied, das vom Sachverstand her befähigt gewesen wäre. Es war also ein reines Ressourcenproblem. Ein Kuratoriumsmitglied hätte wegen eines einzigen Geschäfts extra von Zürich oder Basel anreisen müssen. Das wäre aus meiner Sicht unverhältnismässig gewesen.
Wir stellen einfach fest, auch an diesem Fall, dass die Unabhängigkeit, die Trennung von Kuratorium und Staat, immer mehr aufgeweicht wird. Der ehemalige Kurator Christoph Baumann hat diese Trennung als die raison d’etre des Kuratoriums bezeichnet. Sehen Sie in dieser Entwicklung kein Problem?
Meine Beobachtung ist eine andere. Dieses Bewusstsein ist sogar sehr hoch entwickelt. Man wehrt sich sofort, wenn eine Einmischung der Verwaltung oder der Politik vermutet wird.
Vor 50 Jahren, am 28. Oktober 1969, tagte das Aargauer Kuratorium zum ersten Mal. Neu gab es ein Gremium, das über Anträge von Kunstschaffenden entscheiden konnte – und somit auch über Geld, das vom Kanton dafür budgetiert wurde.
Bereits seit den 1950er-Jahren diskutierten Parlamentarier, wie ein Aargauer Kulturgesetz aussehen könnte. 1968 lag es zur Abstimmung vor. Generell war die Zustimmung gross. Allerdings regte sich auch Widerstand. «Für uns funktionierte es auch ohne Gesetz», sagt etwa der Künstler Max Matter im neuen Film von «Zeitgeschichte Aargau», der auch die Anfänge des Kuratoriums thematisiert (www.zeitgeschichte-aargau.ch).
Das Gesetz wird mit 53% angenommen. Einzigartig – damals, und auch heute – an der Aargauer Variante eines Kulturgesetzes war das Aargauer Kuratorium. Das 11-köpfige Gremium wird bis heute zu einem Teil vom Grossen Rat, zum anderen Teil vom Regierungsrat gewählt und kann abschliessend über Anträge von Kunstschaffenden bestimmen. Maximal ein Prozent der Steuereinnahmen konnten bis vor der Revision des Gesetzes im Jahr 2009 durch Regierung und Grossen Rat für die Kultur budgetiert werden. Damit musste auch die Denkmalpflege finanziert werden.
Am 28. Oktober 1969 tagte das Gremium Kuratorium zum ersten Mal. Sein Präsident: Markus Roth aus Lenzburg, Direktor der Hero-Fabrik. Unter anderem waren auch die Leiter der Badener und Aargauer Kellertheater, Anton Keller und Anton Krättli, aber auch der Rheinfelder Künstler Erwin Rehmann Teil des Gremiums. Obwohl Frauen das Stimm- und Wahlrecht noch nicht hatten, konnten sie dennoch Mitglied des Kuratoriums sein. Die promovierte Romanistin Elisabeth Suter-Korrodi aus Boswil war die erste Frau im Kuratorium.
Die erste Sitzung des Kuratoriums war durch Formalia geprägt. Für das Jahr 1969 gab es nicht mehr viel Geld zu verteilen. Die Denkmalpflege hatte nämlich 2,1 Millionen Franken Schulden, die über drei Jahre hinweg abgegolten werden sollten. Ganz knapp erhielten einige Gesuchsteller für 1969 einen kleinen Beitrag. Sie hatten nämlich sehnlichst auf diese erste Sitzung gewartet, da sie beim Lotteriefonds nun an das Kuratorium verwiesen worden waren.
Ausserdem hatten die ersten elf Mitglieder zu definieren, was denn genau die Funktion des Kuratoriums sei. Soll man sich eigene Aufgaben geben? Oder lediglich über Gesuche befinden?
Obwohl auch in anderen Kantonen in jener Zeit ähnliche Gesetze entstanden, ist das Kuratorium in seiner Art bis heute einzigartig. Langfristig prägte es den Kanton Aargau. Ist er deshalb ein Kulturkanton? Dorette Kaufmann, Peter Schweiger und Max Matter nehmen im Film dazu Stellung. Alle drei waren Mitglied des Kuratoriums, Dorette Kaufmann präsidierte das Gremium von 1997 bis 2003. (az)