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Kanton Aargau
Die Aargauer Wirtschaft hat ein gutes Jahr hinter sich, sagt Kurt Schmid, Präsident des Gewerbeverbandes. Aber er hat auch Sorgen: Stadt- und Dorfkerne sterben aus – der Verband setzt das Thema jetzt ganz oben auf die Prioritätenliste. Im Interview erklärt Schmid, wie wieder Leben in Dörfer und Städte kommt – und warum er sich bei der No-Billag-Vorlage zurückhält.
Mehrheitlich Daumen rauf, es war ein ausgezeichnetes Jahr. So war die Aargauische Berufsschau in Wettingen ein Volltreffer; sie wird zunehmend auch von Jugendlichen aus anderen Kantonen besucht, aber nicht nur von ihnen: Eltern begleiten ihre Söhne und Töchter. Das war zweifellos ein Highlight. Um etwas aus Ihrer Region zu erwähnen: Wir haben Freude, dass der Gewerbeverein Strengelbach wieder zu uns gestossen ist.
Ja, das war ein tolles Highlight – überhaupt sind wir erstaunt, wie viele Leute unsere Anlässe besuchen. Das fing an beim Neujahrsapéro, bei dem fast 700 Personen gekommen sind – das ist unglaublich. Ein Höhepunkt war auch die Verleihung des Aargauer Unternehmenspreises. Die Unternehmen haben darum gekämpft, an die Spitze zu kommen. Der lange Aufbauprozess hat sich gelohnt, das Interesse steigt von Jahr zu Jahr. Die Unternehmen, die Spitzenränge belegen, nutzen den Preis für ihr Marketing. Das ist gut, das wollen wir schliesslich auch. Sie sind auch ein Beweis für unseren starken Wirtschaftskanton. Inzwischen strahlt der Unternehmenspreis über den Kanton hinaus, wir haben den Eindruck, dass wir da und dort kopiert werden.
Ja, die verlässliche Aussagekraft freut uns. Die Vorstände aus den Branchenverbänden und Gewerbevereinen melden uns ihre Bewertungen auf unsere Fragen halbjährlich. Das gibt Konstanz und eine breite Abstützung. Am Anfang hiess es, das sei zu wenig seriös. Dabei waren wir die Ersten, die den Fachkräftemangel aufs Tapet gebracht haben – auch da hiess es, das stimme nicht. Inzwischen haben sich alle Aussagen dazu bewahrheitet.
Wir hatten tatsächlich vor einigen Jahren Mühe, mit den Finanzen klarzukommen, das müssen wir einräumen. Da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht, ohne dass wir den Mitgliederbeitrag erhöht haben. Finanziell wie auch organisatorisch sind wir bestens aufgestellt.
Die Unternehmen, insbesondere die produzierenden Betriebe, die Gastrobranche und die Detaillisten, haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Margen zu erzielen. Nur mit Gewinnen kann man investieren. Wir hatten eine Hiobsbotschaft von General Electric aus Baden. Der Konzern hat Schwierigkeiten, Turbinen zu verkaufen, weil der Markt gesättigt ist. Beim angekündigten Abbau von 1300 Arbeitsplätzen sind zusätzlich auch die nachgelagerten Betriebe betroffen. So geht faktisch das Doppelte an Stellen verloren. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir Grossunternehmen in der Schweiz haben, die ausstrahlen – KMUs alleine genügen nicht.
Die Euro-Entwicklung hat geholfen, man kann jetzt nicht mehr behaupten, die Wirtschaft leide einzig unter dem ungünstigen Wechselkurs. Die Entwicklung der Wechselkurse ist klar positiv.
Es gibt immer noch viele, die sagen: Das kommt dann in zehn Jahren oder so – mich trifft das nicht. Das ist nicht so. Es trifft schon heute jeden Betrieb, vielleicht ohne dass dieser es bewusst wahrnimmt. Junge Leute kaufen heute beispielsweise online ein, das lässt sich nicht verhindern. Wir bekommen in unserer Firma heute sogar Aufträge für Revisionsmandate via Online-Anfragen, das war vor ein paar Jahren noch unvorstellbar. Die Digitalisierung trifft alle. Die junge Generation geht voran. Das sehe ich bei meinen Töchtern.
Kurt Schmid hat Jahrgang 1954, ist seit 1988 mit Franziska Schmid-Müller verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter. Er liess sich zum Betriebsökonomen und Wirtschaftsprüfer ausbilden und absolvierte an der Hochschule St. Gallen ein auf KMUs fokussiertes Nachdiplomstudium. Seit 1989 ist er Geschäftsführer der Uta & Schmid Revisions AG in Lengnau und Partner der Uta Treuhand Gruppe. Die Liste mit Kurt Schmids
nebenberuflichen und politischen Engagements ist ebenso lang wie beeindruckend. Unter anderem sitzt er in diversen Verwaltungsräten und präsidiert seit 2008 den Aargauischen Gewerbeverband. Zwischen 1986 und 2013 war er Gemeindeammann von Lengnau; die Gemeinde hat ihn 2011 zum Ehrenbürger ernannt. Zudem engagiert sich Kurt Schmid in der Musik. Er war unter anderem Mitglied der Musikgesellschaft Lengnau und – nach einer Ausbildung am Konservatorium Zürich – zwischen 1993 und 2009 Dirigent der Musikgesellschaft Leuggern. Bei den Aargauern Musiktagen 2015 in Lengnau amtete Schmid als OK-Präsident.
Am 15. Oktober 2009 hat ihm die Stiftung Bad Zurzach für sein langjähriges regionales Engagement und für das Buch «Zurzibiet – der Mensch im Mittelpunkt» den «Krug von Bad Zurzach» verliehen.
Er jogge zweimal pro Woche, sagt Schmid – besonders gern, wenn er eine Ansprache vorbereiten müsse.
Ja. Denn es braucht ein Umdenken, eine Veränderung führt zu Bedenken und Ängsten: Braucht es meinen Arbeitsplatz noch? Wenn wir aber als kleines Land ohne Rohstoffe konkurrenzfähig bleiben wollen, können wir nur über diese Schiene gewinnen. Die Digitalisierung vernichtet bestimmt Arbeitsplätze und gar Berufe. Sie bringt anderseits den nötigen Fortschritt, welcher zu neuen Arbeitsplätzen führt. Nur Arbeit bringt den Wohlstand.
Da sind wir dran, es gibt eine neue. Das haben wir an der Klausurtagung beschlossen.
Gewerbeausstellungen geben ein gutes Bild über den Zustand der Unternehmungen und die regionale Wirtschaftskraft. Deshalb beobachten wir sie genau. Aarburg ist kein Sonderfall, es gibt immer wieder Situationen, in denen die Organisatoren die nötige Anzahl Aussteller nicht zusammenbringen. Wir sind wie Aarburg auch enttäuscht, dass die Ausstellung 2018 nicht klappt. Aber das heisst ja nicht, dass ein neuer Anlauf auch scheitert. Auch Mellingen brach vor ein paar Jahren die Übung ab. Und siehe da, Ende September haben die Mellinger wieder eine tolle Ausstellung zustande gebracht.
Im Gegenteil. Im Jahr 2010 hatten wir im Kanton 10 Gewerbeausstellungen, 2017 waren es 17. Ich meine, es ist sogar ein Rekord. Gewerbeausstellungen sind nach wie vor Magnete.
Ich habe ein klassisches Beispiel, das ich immer wieder erwähne: ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz. Klar: Für gewisse Produkte würden die Preise steigen ...
Ja. Aber ich kaufe ja nicht nur Lebensmittel. Zum Ausgleich würden in anderen Bereichen der Mehrwertsteuersatz und damit die Preise etwas sinken. In der Schweiz beschäftigt sich ein gewaltiger Verwaltungsapparat mit der Umsetzung der Mehrwertsteuer, weil sie so kompliziert ausgestaltet ist. Es gibt inzwischen Beratungsfirmen, die ausschliesslich auf Mehrwertsteuerfragen spezialisiert sind. Man muss sich das mal vorstellen: Die Mehrwertsteuer ist heute so kompliziert, dass der durchschnittliche Treuhänder als Fachmann die Spezialfragen nicht mehr beantworten kann – mir geht es ja selbst so. Aber es gibt auch Lichtblicke.
Das Departement von Johann Schneider-Ammann sorgt dafür, dass man für Firmengründungen nicht mehr zum Notar muss. Wieso bei Liegenschaften nicht das gleiche Prinzip: Wenn Sie ein Haus verkaufen will und sich nur der Preis ändert, warum dann eine notariell beglaubigte Grundbuchänderung? Das könnte man viel einfacher haben.
Die Dorf- und Stadtkernentwicklung ist 2018 unser Jahresthema. Wir wissen, dass viele Leute bei Ihnen in Zofingen und bei mir in Lengnau das Gleiche möchten: Ballenberg. Ja nichts verändern! Doch im Innern sterben die Stadt- und Dorfkerne aus. Wir haben eine Umfrage gemacht, ob die Präsidenten der Branchenverbände und Gewerbevereine an dem Thema interessiert sind und allenfalls in einer Arbeitsgruppe mitmachen würden. Innerhalb von wenigen Tagen hatten wir acht Interessenten. Jetzt müssen wir sogar einigen absagen. Wir haben gemerkt: In jeder Gemeinde ist das ein Thema. In jeder!
Ja. Die Leute, ausgeprägt die junge Generation, wollen alles an einem Ort. Die heutigen Konsumenten wollen nicht mehr in verschiedenen Läden einkaufen. Alles muss in einem grossen Laden vorhanden sein.
Ja, leider. Ausser sie haben ein gesuchtes Spezialangebot, das sich abhebt. Aber kleinere Quartierläden haben keine Chance mehr – das ist brutal. Wir müssen also in den «Ballenberg»-Dörfern die Voraussetzungen schaffen, dass auch bauliche Veränderungen möglich sind. Konkret: Die Fassaden können stehen bleiben, aber dahinter brauchen wir grössere Verkaufsflächen. Eine grosse Verkaufskette verlangt heute zwischen 500 und 600 Quadratmetern, um einen Laden mitten in einem Stadt- oder Dorfkern zu eröffnen.
Ja, gehen Sie mal nach Freiburg im Breisgau. Die Innenstadt ist Fussgängerzone, kein Auto fährt. Alle grossen Läden sind in der Innenstadt vertreten. Rundherum gibt es aber Parkhäuser mit jeweils mehreren hundert Plätzen; die Kunden wollen nicht mehr als 300, 400, vielleicht 500 Meter zu Fuss gehen. Wenn sich das Einkaufsverhalten ändert, müssen wir auch die Infrastruktur anpassen. Das hat Freiburg gemacht.
Warten Sie noch zehn Jahre, dann ist vielleicht schon jedes zweite Auto ein Elektrofahrzeug. Aber die Leute werden auch dann noch zum Einkaufen in das Dorf oder in die Stadt fahren wollen, und deshalb brauchen wir Parkflächen.
Ja, dabei ist ja die Abstimmung nicht morgen, sondern erst im März. Aber ja, jeden Tag liest man darüber. Bei uns entscheidet der Vorstand am 10. Januar, deshalb habe ich noch keine Meinung ...
(Lacht) Selbstverständlich habe ich meine persönliche Meinung gemacht. Letztlich vertrete ich die Haltung des Verbandes. Ich vermute, im Vorstand wird es keine einstimmige Entscheidung geben. Die Vorlage hat verschiedene Elemente. Aus KMU-Sicht ärgert es uns natürlich, dass wir doppelt Billag-Gebühren zahlen müssen – als Unternehmer und als Bürger. Das ist aus meiner Sicht der Hauptpunkt. Auf der anderen Seite kann man sich schon fragen, ob es richtig ist, dass mit einem Kahlschlag die ganze SRG wegbricht. Ich bin selbst gespannt, wie wir im Vorstand abstimmen werden. Ich kann mir vorstellen, dass es knapp wird.
(Lacht) Ich bin immer mit Feuer und Flamme dafür oder dagegen. Ernsthaft: Ich gebe auf die Frage keine Antwort. Ich vertrete die Haltung des Verbandes, egal, ob dieser dann dafür oder dagegen ist.
Ich weiss nicht, ob so ein Antrag gestellt wird. Ich denke, eine Stimmfreigabe hat kaum Chancen. Wir müssen eine Meinung haben. Mehrheitlich übernehmen wir diejenige des SGV.
In jungen Jahren hatte ich eine Abneigung gegen Hudigäggeler-Musik. Mit 23 fing ich an, Handorgel-Unterricht zu nehmen; so kam ich zur Volksmusik. Irgendwann, mit 26 oder 27, nahm ich ein Alphorn zur Hand. Seit 30 Jahren spiele ich nun in einem Trio. Einer der Kollegen aus dem Trio kam vor rund 15 Jahren mit einem Büchel daher. So begannen wir im Trio auf dem Büchel zu üben. Das Alphorn hat wie jedes Horn einen weichen Klang, die Büchel klingt fanfarenhafter. Dieses Jahr sind wir zum vierten Mal am Eidgenössischen mit dem Trio angetreten.
Ja, wir haben zum vierten Mal in Folge die Note 1 erzielt. Da sind wir riesig stolz drauf.
Es vergeht kein Tag, ohne dass ich ein Instrument spiele. Auch unterwegs, ich fahre zum Beispiel an einen Waldrand und spiele dort. Auch nachts. Ich habe immer ein Instrument im Auto, immer. Ich komponiere auch viel für Alphörner. Musik ist für mich sehr wichtig.