Startseite
Aargau
Fricktal
Bernhard Lindner ist Theologe, Seelsorger und (Lebens-)Pilger. Ab Herbst leitet er die Kapellenwanderungen. Die erste führt durchs Fricktal.
Jedes Ankommen setzt ein Aufbrechen voraus. Das weiss kaum jemand besser als Bernhard Lindner, der lange als Gemeindeleiter von Oeschgen gewirkt hat und heute für die römisch-katholische Landeskirche in Aarau arbeitet.
Lindner ist Pilgerprofi und hat sich das Pilgern zum Lebensmotto gemacht. Er ist dabei, wenn man so will, ein Lebenspilger geworden. Seit elf Jahren ist Lindner jedes Jahr als Pilgerleiter zwei Wochen lang auf dem Jakobsweg unterwegs, bereits vier Mal ist er in Santiago de Compostela angekommen.
In diesem Herbst läuft er mit einer Gruppe von rund 12 Personen von Cáceres bis nach Zamora. 300 Kilometer sind es, 300 Kilometer, auf denen jeder bei sich ankommen kann. Dieses Ankommen sei für jeden etwas anderes, erzählt Lindner. Für die einen ist es ein Sich-Bewusstwerden, für andere ein Finden, für Dritte ein Loslassen.
Was ihn selber jedes Mal aufs Neue fasziniert, ist, dass er sich beim Pilgern in eine alte Tradition stellt. «Es ist ein spezielles Gefühl, auf einem Weg zu laufen, den schon Millionen von Menschen gegangen sind.» Lindner empfindet es als ein Sich-Hineinstellen in eine unglaubliche Glaubenstradition und in die Erkenntnis: «Man muss nicht alles selber machen. Vieles wird einem von den Vorfahren geschenkt.»
Dieses Bewusstsein will er den Menschen auch am 21. September vermitteln, wenn die fünfte Kapellenwanderung durch den Aargau stattfindet. Diesmal führt sie durch das Fricktal, das er bestens kennt. Er sei der neue «Mr. Kapellenwanderung», schrieb das Pfarrblatt «Horizonte» kürzlich.
Lindner schmunzelt. Er habe die Aufgabe gerne übernommen, sagt er, seine Pilgererfahrung sei dabei sicher von Vorteil. Es sei aber nicht Lokalkolorit, dass die Wanderung nun in seinen einstigen Wirkungskreis führe, sondern dies sei schon beschlossene Sache gewesen, als er die Kapellenwanderungen von Kurt Adler übernommen habe.
Entstanden sind die Kapellenwanderungen 2011. Die Landeskirche wurde in diesem Jahr 125 Jahre alt und gab ein Buch über 125 Kapellen im Aargau heraus. Als Ergänzung dazu wurde 2012 die erste Kapellenwanderung durchgeführt, drei weitere folgten 2013, 2015 und 2017.
Am Buch und am umfassenderen Online-Kapellen-Auftritt hat auch Lindner mitgewirkt. Er hat für die Kapellen im Fricktal je einen spirituellen Impuls verfasst. Dazu hat er sich auch mit der Geschichte der Kapellen befasst. «Es ist spannend, sein eigenes Leben in die Geschichte einzuordnen», erzählt er. Dieses Einordnen ist für ihn immer auch eine Vergewisserung. «Die Erinnerung hilft, die heutigen Veränderungen besser zu verstehen.»
Auf der diesjährigen Kapellenwanderung, die von Mettau nach Etzgen und dem Rhein entlang nach Laufenburg führt, hat Geschichte einen ebenso verbindenden wie trennenden Charakter. Den Rhein als Grenze nehme man heute kaum mehr war, sagt Lindner, und erinnert daran, dass der Fluss für die Menschen im Laufe der Geschichte stets Dreierlei war: Verbindung, Trennung und Schutz. Als das Fricktal 1803 zum Aargau kam, trennte der Fluss plötzlich Menschen, die zuvor vereint waren. Als die Nazis wüteten, schützte der Rhein die Menschen auf Schweizer Seite.
Dieses Bewusstsein für die Grenze will Lindner bei der Kapellenwanderung, zu der er zwischen 20 und 40 Personen erwartet, ebenso thematisieren wie den Jakobsweg. Denn der Abschnitt dem Rhein entlang führt über den ausgeschilderten Jakobsweg.
Und natürlich geht es um die Kirchen und Kapellen auf dem Weg. Auch sie haben eine Geschichte, sind Geschichte. Die Bruderklausenkapelle in Etzgen etwa, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde, um Bruder Klaus dafür zu danken, dass die Schweiz vom Krieg verschont geblieben ist. Die Geschichte erstreckt sich so bis in die Gegenwart hinein. Der Mensch von Heute wird unvermittelt ins Gestern gestellt, um, im besten Fall, das Gestern für das Heute zu erschliessen.
Einblicke und Ausblicke gibt es auch in den Kapellen in Rheinsulz und Leidikon sowie in den Kirchen in Mettau und Laufenburg. Starten wird Lindner die Wanderung mit einem Gebetsimpuls, beschliessen mit einem spirituellen Moment. Es ist ein Ankommen im Aufbrechen, ein Empfangenwerden auch. «Wer aufbricht und sich auf den Weg macht, schätzt es, wenn ihn Menschen bei der Ankunft empfangen», sagt Lindner.
So wird es auch auf der Kapellenwanderung sein. In Mettau werden die Wanderer von Pastoralassistentin Barbara Metzner empfangen, unterwegs, bei der Margarethenkapelle in Rheinsulz, von Edwin Rüede und Sabine Rüede.
Dazwischen, auf der 9,8 Kilometer langen Wanderung, gibt es auch genügend Zeit, um sich ansprechen zu lassen – von den Menschen wie von der Natur. «Jedes Pilgern ist immer auch ein Sich-Einlassen auf die Welt um einen herum», sagt Lindner. Und das kann zu einer inneren Ruhe führen, einer inneren Vergewisserung.
Dabei ist Pilgern immer auch eine wechselseitige Verschränkung zwischen Ruhe und Ruhelosigkeit. Augustinus habe einmal geschrieben, das unruhige Herz sei die Wurzel der Pilgerschaft, erzählt Lindner. Dem kann der pilgererfahrene Theologe voll und ganz zustimmen.
Er kramt in den Unterlagen, holt den Flyer hervor. «Im Menschen lebt eine Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus dem Einerlei des Alltags und aus der Enge seiner gewohnten Umgebung», wird darauf Augustinus zitiert. «Immer lockt ihn das andere, das Fremde. Doch alles Neue, das er unterwegs sieht und erlebt, kann ihn niemals ganz erfüllen. Seine Sehnsucht ist grösser. Im Grunde seines Herzens sucht er ruhelos den ganz anderen, und alle Wege, zu denen der Mensch aufbricht, zeigen ihm an, dass sein ganzes Leben ein Weg ist, ein Pilgerweg zu Gott.»