Brugg-Windisch
«Spiele schaffen es nicht, Einstellungen zu ändern»: Podium Interface widmet sich den «ernsten» Games

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg-Windisch haben drei Experten zum Thema «Serious Games» diskutiert.

Christoph Bopp
Drucken
 Bei «Serious Games» wird Spass mit Zweck kombiniert: Man spielt, um eine Aufgabe zu lösen.

Bei «Serious Games» wird Spass mit Zweck kombiniert: Man spielt, um eine Aufgabe zu lösen.

Symbolbild: Nadia Schaerli

Der aktuelle Zyklus des Podiums Interface der Fachhochschule Nordwestschweiz widmet sich dem Spiel – oder besser gesagt: dem Gamen. Die Verwandlung des Computers von einem Arbeitsgerät zum Rechnen und Ordnen von Daten zu einer multimedialen und allseitig vernetzten Kommunikationsmaschine hat unser Verständnis vom Spiel völlig umgekrempelt.

Spiel ist Spass, die Teilnahme ist freiwillig. Für viele ist das fragwürdig. Spielen ist Eskapismus, Flucht aus dem harten (Arbeits-)Alltag. Deshalb gibt es die «Serious Games», die ernsthaften Spiele. Bei ihnen wird der Spass auf einen Zweck bezogen. Man spielt, um eine Aufgabe zu lösen.

Die Interface-Macher hatten dafür am 15. Mai zu einer Podiumsrunde eingeladen: Ulrich Götz, Professor für Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste, Laura Schuppli, Kuratorin Schwerpunkt Digitales beim Stadtmuseum Aarau, und Roberto Siano, der als Psychologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften das «Gamification Lab» betreibt.

Einleuchtend war die Museumspädagogik. Das Spiel soll hier die passive Betrachtung der Objekte ablösen und den Dialog mit ihnen ermöglichen. Schuppli lässt die Museumsbesucher sogar ein Detektiv-Rätsel lösen: Ein Objekt wurde umgebracht. Das Spiel ist motivierender als «business as usual». Im Spiel ist man im Zauberkreis, dem «magic circle», sagte Götz, weg vom Alltag, und das Spiel schafft, dass man in einen «Flow» hineinkommt. Alles geht viel leichter und wie von selbst.

Auch Spiele sind Medien der Welt-Wahrnehmung

Roberto Siano musste die heikle Frage beantworten, ob er den Unternehmern Spiele verkaufe, die es diesen ermöglichten, noch mehr Profit aus ihren Mitarbeitenden herauszuholen. Das sei übertrieben, meinte Siano:

«Spiele schaffen es nicht, Einstellungen zu ändern.»

Im Spiel lasse sich Kollaboration erzwingen, aber die Realität ist anders.

Überraschend war, wie defensiv-pädagogisch die Idee des Spiels verfolgt wird. Offenbar befinden wir uns immer noch im Stadium des Ernsts, Spass muss da nicht sein. Aber man muss sich lösen von einem Verständnis des Spiels, das auf der Unterscheidung von Spass und Ernst aufbaut. Bei «Spiel» ist schon immer die Repräsentation der Realität, von Welt, mitgemeint. Spiele sind Medien.

Das kann man der Geschichte der Kommunikation entnehmen. Der deutsche Medienwissenschaftler Harry Pross gezeigt, wie die technischen Hilfsmittel die Kommunikation strukturieren. Primäre Medien brauchen keine Hilfsmittel: Gestik, Mimik, Artikulation reichen. Die Spiele sind «Fangen oder Versteckis». Bei den sekundären Medien (Brett- oder Kartenspiele) ist dann etwas zwischen Sender und Empfänger geschaltet. Vor allem natürlich Schrift und der Buchdruck machte die Kommunikation ortsunabhängig.

Im Theater wird die Bühne durch allerlei technische Mittel verfremdet (Kulissen, Hebebühnen und andere Tricks). Die Stars des Renaissancetheaters (Shakespeare, Calderón, Racine) wurden denn auch nicht müde zu versichern, dass die Welt eine Bühne sei.

Es wird unendlich mehr gegamt als gelesen

Brauchen Sender und Empfänger ein Gerät, spricht Pross von tertiärer Medialität. Aber auch der Film gehört dazu. Die Zuschauerin oder der Zuschauer muss sich in einen technisch geeigneten Raum begeben und akzeptieren, dass er keine leiblichen Darsteller sieht, sondern nur virtuelle. Im Haus ist das die Spielkonsole. Und die aktuelle Phase ist geprägt von Geräten, die das Publikum zum Spieler machen.

Auffällig ist, dass im Deutschen der Begriff «Spiel» präsent bleibt. Auf der Bühne findet das Lust- oder Trauerspiel statt, das Kino heisst auf Urdeutsch «Lichtspiel-Theater». Der Film hatte schon immer mehr Nutzer als die Literatur. Trotzdem studieren wir Germanistik und praktizieren Deutschunterricht. Bei den Games ist das noch auffälliger. Es wird unendlich mehr gegamt als gelesen. Aber die Spiele stehen immer noch in einer Ecke des Kulturbetriebs.