Den grössten Ausländeranteil machen in Wettingen Italienerinnen und Italiener aus. Drei Menschen erzählten in der Gemeindebibliothek ihre Geschichte, wozu auch gehörte, wie ihre Vorfahren es schafften, sich hier wohlzufühlen. Der Anlass stiess auf grosses Interesse und wird deshalb noch einmal durchgeführt.
In den 50er-Jahren kamen die ersten Menschen aus San Giovanni nach Wettingen, auf der Suche nach Arbeit und einem gesicherten Einkommen. Sie wurden von den prosperierenden Firmen der Region mit offenen Armen empfangen. Die meisten der Saisonniers arbeiteten im Baugewerbe und waren wegen ihres Fleisses und Könnens sehr gesucht. Auch sollen damalige BBC-Direktoren eigens nach San Giovanni in Fiore gereist sein, um vor Ort Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Das erfuhren Besucherinnen und Besucher diese Woche an einem ausgebuchten Anlass in der Wettinger Gemeindebibliothek. Für einmal wurden hier nicht Bücher ausgeliehen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut erzählten ihre Geschichte. Als sogenannte «lebende Bücher» beantworteten Serafino Mannarino, Francesco Marra und Lorena Mazza – alle mit Wurzeln in San Giovanni in Fiore – Fragen aus dem Publikum. Sie lüfteten mit ihren berührenden Familienbiografien das Geheimnis der engen Verbundenheit zwischen Wettingen und San Giovanni in Fiore.
Durch den später erlaubten Familiennachzug hatten sich immer mehr Familien in Wettingen niedergelassen. Das «sinnbildlich raue Schweizer Klima», wie es in einer Mitteilung der Gemeindebibliothek heisst, habe die Sangiovannesi näher zusammenrücken lassen: Um gemeinsam mit Freunden und Familie die Freizeit zu erleben und Traditionen zu pflegen, wurden verschiedene Vereine gegründet, darunter auch der Fussballclub FC Juventina. So entstand ein wenig «Italianità», um sich in Wettingen wenigstens ein bisschen wie in San Giovanni in Fiore zu fühlen, das im Herzen Kalabriens liegt.
Auch heute noch sei es so, dass sich Italienerinnen und Italiener, die durch Wettingens Strassen flanieren, nicht gegenseitig fragen: «Kommst du auch aus Italien?», sondern: «Bist du auch aus San Giovanni?» Wie viele der aktuell rund 1350 in Wettingen lebenden Italiener tatsächlich aus dem Städtchen stammen, wisse man nicht, heisst es in der Mitteilung weiter. Es seien aber offensichtlich sehr viele, man kenne und helfe sich gegenseitig.
Die Verbundenheit mit der alten Heimat – auch in der zweiten und dritten Generation – sei aber offensichtlich. Viele reisten regelmässig nach San Giovanni in Fiore, um dort Verwandte zu besuchen oder sich ein Haus zu bauen.
Die Atmosphäre in der Bibliothek am Montagabend sei emotional aufgeladen gewesen und die Dankbarkeit gegenüber den Vorfahren sichtlich greifbar. Auch die amtierende Bürgermeisterin von San Giovanni in Fiore, Rosaria Succurro, richtete sich in einer Grussbotschaft an die anwesenden Gäste.
Sie habe noch einmal die grosse Bedeutung eines partnerschaftlichen Austausches zwischen den beiden Orten unterstrichen. Der Wunsch wurde geäussert, dass San Giovanni in Fiore doch Partnerstadt von Wettingen werden solle. Dies sei beim ebenfalls anwesenden Gemeindeammann Roland Kuster (Mitte) auf offene Ohren gestossen, heisst es weiter, und wurde beim abschliessenden Apéro mit kalabrischen Spezialitäten weiterdiskutiert. (az)
Aufgrund der grossen Nachfrage wird der Anlass am 22. Mai wiederholt. Es ist eine Anmeldung nötig: www.eveeno.com/LivingLibrary.