BT-Kolumne
Simon Libsig hat genug von Callcenter-Anrufen - doch manchmal lohnt es sich ranzugehen

Der Badener Poet schreibt in seiner 88.-Badener-Tagblatt-Kolumne über unerwünschte Anrufe

Simon Libsig*
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Luis Alvarez / Digital Vision

Eine Zeit lang hatte ich Ruhe. Aber im Moment, so kommt es mir vor, kriege ich pro Woche sicher drei oder mehr Anrufe von Callcentern. Und es läuft immer gleich ab.

Mein Handy vibriert, ich schaue aufs Display, eine Handynummer, die ich nicht kenne, bravo. Mein erster Gedanke: Callcenter, nicht rangehen. Aber es reizt mich natürlich. Könnte ja auch ein neuer Auftrag sein. Und klar könnte die Person eine Nachricht hinterlassen oder später nochmals anrufen oder mir einfach eine Mail schreiben, ich bin ja im Internet. Aber ich möchte natürlich eine potenzielle Kundin oder einen potenziellen Kunden nicht warten lassen. Vor allem als Selbstständigerwerbender. Also nehme ich ab.

Und dann entscheidet es sich in den nächsten zwei Sekunden. Wenn zunächst niemand antwortet und dann klassische Grossraumbüro-Geräusche und Telefoniererei im Hintergrund laut werden, drücke ich sofort weg. Dann blockiere ich die Nummer des Anrufers auf meinem Handy und stosse einen unanständigen Fluch aus. Voilà, erledigt.

Nun ist mir aber letzthin etwas passiert. Zugegeben, ich reagierte wegen der zunehmenden Callcenter-Belästigung vermutlich übersensibel. Aber da war dieser Anruf. Klassische Grossraumbüro-Geräusche, Telefoniererei, gebrochenes Englisch, der Fall war für mich klar. Anrufer blockieren. Und dann kam auch noch diese E-Mail. Es ging um eine angeblich offene Rechnung, ich habe die Mail nicht mal ganz überflogen, es war lächerlich! Schon im ersten Abschnitt mehrere Schreibfehler und dann noch ein offensichtlich gefälschtes Logo einer internationalen Firma, einer Firma, bei der ich erst jüngst hier in Baden ein paar Geschichten erzählt hatte. Also, fluchen, wegklicken, vergessen. Wie gehabt.

Ein paar Wochen später dämmerte es mir dann. Als ich die Eingänge auf meinem Konto durchging und das Honorar für den besagten Auftritt nicht fand. Hmm? Ich hatte die Rechnung unmittelbar nach meinem Auftritt gestellt. Das müsste längst bezahlt sein. Ich beschloss, persönlich beim Sekretariat vorbeizugehen, es waren ja bloss ein paar Gehminuten von mir Zuhause aus.

«Ah, Herr Libsig , gut melden Sie sich, man hat sie mehrmals zu erreichen versucht, per Telefon und auch per Mail, sie müssen noch diese Betreffnummer auf ihrer Rechnung ergänzen.» Ich nickte. «Darf ich fragen, wer von Ihnen denn versucht hat, mit mir Kontakt aufzunehmen?» Die Frau schaute irritiert. «Also, wer genau kann ich Ihnen jetzt auch nicht grad sagen, wissen Sie, das ganze Rechnungs-Zeugs läuft ja über Polen.»

Und in diesem Moment meldete sich wieder mein Bauchgefühl. Und das liess sich nicht einfach wegklicken. Diesen Call aus meinem emotionalen Center konnte ich nicht blockieren. Es mag marktwirtschaftlich Sinn machen, dass man jemanden in Polen die Rechnung bearbeiten lässt, wenn zwei in Baden miteinander ein Geschäft machen.

Und zweifelsohne verdienen Callcenter Geld, auch wenn sich die meisten Angerufenen nerven. Aber ich finde es nicht gut. Ich glaube sogar, dass ein System, dass Geldmachen als oberstes Ziel hat, ein Fluch ist. Und zwar ein unanständiger.

Simon Libsig, Autor und Poet.

Simon Libsig, Autor und Poet.

Bild: zvg / BAD

*Simon Libsig (45) ist Autor und Poet. Sein neustes Buch ist am 1. September 2022 erschienen: «Dorfpolizist Gruber hat’s erwischt».