Kolumnist Fabio Mazzara möchte nicht, dass sein FC Aarau demnächst in gelben Trikots aufläuft. Die Verschiebung des Maienzugbanketts von der Schanz in den Schachen findet er hingegen ganz in Ordnung: Traditionsbrüche seien nicht unbedingt etwas Schlechtes
Die halbe Stadt sei in Aufruhr! Eifrig erklärt mir meine Mutter, noch bevor wir uns richtig begrüssen konnten, wieso sie mit allem zu spät dran sei, der Apéro noch nicht bereitstehe und auch die Vorbereitungen für das gemeinsame Fondue noch Zeit brauchten.
Sie sei davor für die Einkäufe eben noch in der Stadt gewesen und habe zwei Bekannte getroffen und später sei noch jemand dazugestossen. Sie sei fast nicht mehr aus dem Laden gekommen, den Bus habe sie verpasst, alle seien aufgeregt, es gäbe so viel zu diskutieren!
Zur Person
Nein, der Grund, weshalb es zu Vorbereitungsverzögerungen kam, war nicht der schreckliche Krieg in der Ukraine, auch nicht die historische Situation um die Credit Suisse. Die geschilderte Situation war bereits vor einem Monat, als der Stadtrat die Änderungen am Maienzugprogramm kommunizierte.
Es ist schon erstaunlich, welche starken Abwehrreflexe Neuerungen auslösen können. Selber kenne ich das auch sehr gut. Da gibt es einerseits die ganz praktischen Dinge, die auch ich nicht geändert haben möchte. Zum Beispiel verstehe ich nicht, wieso gefühlt jedes Mal, wenn ich einen Bedarf an Wattestäbchen habe, diese in ein anderes Regal umplatziert wurden und ich im Warenhaus meines Vertrauens in der Kosmetikabteilung herumirre, als wäre ich neu in der Stadt.
Und andererseits gibt es auch emotionale Traditionen. Möchte ich, dass der FC Aarau neu in gelben Trikots aufläuft, weil dessen neue Marketingperson die Psychologie der Farben nachgeschlagen und herausgefunden hat, dass Gelb eine gute Laune symbolisiert? Sicher nicht! Da verweise ich natürlich auf die über hundertjährige Tradition und die Referenz zu den Farben des Aarauer Wappens.
Wann gilt denn das Argument der Tradition? Und wann soll man offen für Neues sein? Das muss jeder für sich selber entscheiden. Interessant ist aber, dass jede Tradition aus etwas Neuem entstanden ist. Zum Beispiel war der Maienzugvorabend 1988 eine neue Idee. Die Aarauer Altstadt ist erst seit 2006 autofrei. Und 1971 wurde in der Schweiz die Tradition beendet, dass nur Männer wählen dürfen.
Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Aarau und der Schweiz Revue passieren lasse, dann wage ich zu behaupten, dass vieles besser geworden ist. Darum möchte ich beliebt machen, Neuerungen grundsätzlich positiv zu begegnen. Neugierig sein!
Ich freue mich auf das neue Erlebnis am Maienzugbankett auf dem sanierten – nomen est omen – Maienzugplatz. Ich freue mich darauf, dass mutmasslich keine improvisierten Sonnenschirme nötig sind, dass es endlich etwas mehr Platz hat, dass die Infrastruktur und Logistik dem Gasthof zum Schützen die Arbeit erleichtert, dass die Stadtpolizei den Verkehr besser leiten kann und dass wir im Schachen einen richtigen Festplatz mit allem Drum und Dran haben werden.
In Anbetracht des grossen Potenzials, welches der Maienzugplatz bietet, bin ich optimistisch, dass wir 2023 eine neue Tradition einläuten, die nicht mehr so schnell geändert werden will.